Friedensprozess
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Der Frieden ist nicht tot!
Einige Medien in Deutschland — aber auch in Kolumbien — vermitteln den Eindruck, dass die FARC den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen hat und das Friedensabkommen damit praktisch tot sei. (so z.B. ND vom 29.8.2019 oder America-21 . Diesem Eindruck muss ganz klar widersprochen werden. Es ist eine kleine Gruppe von Dissidenten, die den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen hat, aber die FARC als politische Partei und mit ihr die überwiegenden Mehrheit aller Ex-Guerilleros stehen zum Friedensprozess. Allerdings, und das ist das Traurige, sind unter den Dissidenten drei hochrangige ehemalige Kommandanten der FARC-EP. Unter ihnen sogar der Verhandlungsführer bei den Friedensgesprächen von Havanna Iván Márquez. Das macht die Sache außerordentlich kompliziert. Und…
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Des Präsidenten neue Schuhe
Das hatten sich die Ex-FARC-Guerilleros listig ausgedacht. Es war ja zu erwarten, dass Iván Duque irgendwann zu einer solchen Good-Will-Show-Tour aufbrechen wird, die ihn in ein oder mehrere der »Espacios Territoriales de Capacitación y Reincorporación« führen wird, um die weltweit aufgekommenen Zweifel an seiner Friedensbereitschaft zu zerstreuen. Wie die kolumbianische Tagezeitung »El Tiempo» am 16. März berichtete, besuchte er nun in der Nähe von Valledupar, im Departament Cesar, eine solche ETCR und sprach dort mit über 100 ehemaligen FARC-Kämpfern. In einer dort in den letzten Monaten entstandenen Schuhmacher-Werkstatt verkauften ihn die Ex-FARC-Guerrilleros dann doch tatsächlich für gerade mal 140.000 COP (das sind ca. € 40,–) ein paar brandneue FARC-Wanderstiefel. Keine…
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Menschenrechte: deprimierender Bericht der UNHCR
Unsere Ankunft in Bogotá wurde nicht nur überschattet von der sich immer weiter zuspitzenden Krise in Venezuela sondern auch durch deprimierende Zahlen über die Menschenrechtssituation in Kolumbien, die allen Erwartungen, die der 2016 eingeleitete Friedensprozess ausgelöst hatte, Hohn sprechen. Wie der Vetreter des Roten Kreuzes in Kolumbien, Christoph Harnisch, in einem Interview mit der Zeitung »El Tiempo« bekanntgab, hat sich die Konfliktsituation in einigen Regionen im Jahr 2018 nicht nur nicht verbessert, sondern sogar verschärft. Vertreibungen, Bedrohungen, Verschleppungen und Ermordungen haben Im Jahr 2018 wieder dramatisch zugenommen. So gab es beispielweise einen sprunghaften Anstieg der Vertreibungen von 13.809 im Jahr 2017 auf 27.780 im Jahr 2018. Das ist die höchste…
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Ein gespaltenes Land
»Un Pais Dividida« titelt die kolumbianische Wochenzeitung »Semana« in ihrer neuesten Ausgabe. Es geht um die Unruhe, die hier entbrannt ist wegen der umstrittenen Entscheidung des Präsidenten, dem vom Kongress verabschiedeten »Ley Estatutaria de la JEP« seine Zustimmung zu verweigern. Die Opposition reagierte zwar scharf, aber dennoch scheint es eine Spaltung zu geben, die durch alle Parteien geht. Aus den Reihen der Konsvervativen, die ja Duque unterstützt haben und die Vizepräsidentin stellen, gab es kritische Stimmen, während aus der »Partido de U«, also die Partei, der Santos angehört, Verständnis zu hören war. Interessant ist die Auseinandersetzung zwischen dem »Fiscal« (Generalstaatsanwalt) Nestor Humberto Martínez einerseits, der schon immer zu den Kritikern…
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Verwirrspiel um JEP
Der kolumbianische Präsident Iván Duque hat wahrgemacht, was er angekündigt hatte: Das von beiden Kammern des Kongresses verabschiedete »Ley Estatutaria de la JEP«, also dasjenige Gesetz, welches der im Friedensvertrag von Havana vereinbarten Sonderjustiz für den Frieden (»Justicia Especial par la Paz«) die erfordeliche verfassungsgemäße Basis verleihen sollte, wurde von ihm nicht unterschrieben sondern an den Kongress zurückverwiesen. Er hat sechs Einspüche gegen das Gesetz geltend gemacht und damit eine ernstzunehmende Krise um die Umsetzung des Vertrages von Havanna, des »Acuedro Final para la Terminación del Conflicto y la Construcción de una Paz Estable y Duradera«, ausgelöst, die mittlweile auch die UNO und den Internationalen Gerichtshof in Den Haag auf…
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»¡Ni uno mas!«
¡Ni uno mas! — Unter diesem Motto demonstrierten Menschen heute nicht nur in Kolumbien sondern weltweit gegen die fortgesetzte Gewalt gegen Menschenrechts- und Friedensaktivisten. In Kolumbien sind seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens Ende 2016 die Anzahl der Morde an Aktivist*innen alarmierend angestiegen. Allein zwischen Dezember 2016 und August 2018 wurden mehr als 300 Bäuer*innen, Angehörige indigener Völker, Studierende, Lehrer*innen, Afro- Nachfahren, sowie Politiker*innen ermordet, weil sie ihre Territorien, die Umwelt und ihre Rechte verteidigten, anders dachten und sich für den Frieden engagierten. Die bisher ohnehin schleppende Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der FARC-Guerilla und der scheidenden Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos läuft Gefahr zu scheitern, da der neue Präsident Iván…
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Scheitert Kolumbien?
Enrique Serrano hat in seiner 2016 erschienenen Analyse nicht mehr die Frage des “ob” gestellt, sondern bereits danach gefragt “¿Por Qué Fracasa Colombia?”. Ich hielt das bis heute immer für ein wenig voreilig, bin aber mittlerweile nicht mehr so sicher, ob mein Optimismus die nächsten Jahre durchhalten wird. Im Moment halten wir uns in Deutschland auf und bekommen die Nachrichten über die Entwicklung des Friedensprozesses über die Medien und über Berichte von Freunden und Verwandten. Und diese Berichte sind alles andere als geeignet, Optimismus und Zuversicht zu verbreiten. Auf allen Ebenen scheint die Umsetzung des Friedensvertrages zu stocken. Die Versorgung in den 23 “Zonas Veredales” und 8 “Campamentos”, in denen…
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Medellin und seine “Comuna 13”
Die Medellin-Konferenz des RC-51 ist beendet. Für mich war es eine besondere Ehre, dass mein Vortrag vom Organisationskommittee der Konferenz als “Closing Presentation” festgelegt wurde. So hatte ich über eine Stunde Zeit, meine Sicht der Dinge über den kolumbianischen Friedensprozess darzulegen und es blieb auch noch ausreichend Zeit, um mit den Kolleginnen und Kollegen darüber zu diskutieren. Meine Sorge, dass die kolumbianischen Kollegen an der Legitimität eines solchen Vortrages zweifeln könnten, erwies sich im Nachhinein als vollkommen unbegründet. Die Diskussion war ausgesprochen solidarisch und konstruktiv. Michael Paetau während des Vortrages (Foto: Alexander Exquemelin, Wikipedia) Es war reiner Zufall aber die sich am Wochenende anschließende gemeinsame Stadterkundung sollte sich wie eine…
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Sociocybernetics in Medellin
Ich freue mich sehr auf unsere diesjährige Jahreskonferenz des Research-Committee “Sociocybernetics”, der “Internationl Sociological Association” (ISA-RC-51), die erstmals in Kolumbien stattfinden wird. Dank der intensiven Bemühungen unserer kolumbianischen Kollegen Luciano Gallon von der “Pontificia Universidad Bolivariana”, Medellin, seiner Ehefrau Gloria Lodoño und Gabriél Velez von der “Universidad de Antioquia”, Medellin, sowie tatkräftiger Unterstützung aller Mitglieder des internationalen Konferenz-Kommittees kann die Konferenz, wie geplant, vom 20. bis 24. Juni in Medellin stattfinden. Ich werde in dieser Zeit bereits in Kolumbien sein und habe insofern eine kurze Anreise. Die Konferenzen der Soziokybernetischen Community sind immer sehr aktive Konferenzen. Die Teilnahme ist nur möglich über die Einreichung eines Präsentationsvorschlags und seiner Akzeptanz durch…
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Bemerkungen zur Geschichte der Gewalt in Kolumbien
Die Geschichte der Gewalt, oder genauer gesagt, der wie es scheint unhinterfragten Durchsetzung von Macht mit Hilfe von Gewalt, beginnt bereits mit der Gründung des Staates. Oder noch früher, mit der Ausrufung der Unabhängigkeit 1810. Gabriel García Márquez spricht in seinem Erinnerungsbuch “Vivir para contarla” hinsichtlich der dort geschilderten Ereignisse der “Violencia” (1948 — 1953) von einem Bürgerkrieg, “der uns seit der Unabhängigkeit von Spanien begleitet hatte und nun bereits die Urenkel der ursprünglichen Protagonisten ereilte” (S. 344). Wie ich in meinen historischen Exkursen über die Unabhängigskeitsbewegung Neugranadas und den Auseinandersetzungen zwischen Zentralisten und Föderalisten noch während der Geburt der Republik zu zeigen versucht habe, wurden die Meinungsverschiedenheiten über die…