Friedensprozess
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»Paz Total« in der Krise
Eines der wichtigsten Ziele der Regierung Petro, die Herstellung eines umfassenden Friedens (»paz total«), der die nach dem mit der ehemaligen FARC-EP geschlossenen Friedensvertrag von 2016 noch verbliebenenden Guerillagruppen umfassen soll, scheint in der letzten Woche ernsthaft in Gefahr geraten zu sein. Grund ist ein ein gewaltsamer Angriff der aus der FARC hervorgegangenen Dissidentengruppe »Estado Mayor Central (EMC)« auf eine indigene Gemeinde in der nördlichen Cauca-Region. Bei dem Angriff wurde Major Carmelina Yule Paví, eine prominente indigene Anführerin und Menschenrechtsverteidigerin getötet. Der Angriff, bei dem auch zwei weitere Mitglieder der indigenen Gemeinschaft, Rodrigo UI Musicue und Édgar Tumiñase, verletzt wurden, ereignete sich nur einen Tag vor Beginn eines geplanten Treffens…
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»Comisión de la Verdad« legt Endbericht vor
Unter dem Motto »Hay Futuro si hay verdad« (»Es gibt eine Zukunft, wenn es Wahrheit gibt«) hat die kolumbianische Wahrheitskommission am 28. Juni 2022 ihren Bericht über den bewaffneten Konflikt der Öffentlichkeit vorgelegt. Die Präsentation fand in Bogotá im »Teatro Jorge Eliécer Gaitán« im Beisein des frisch gewählten aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht in sein Amt eingeführten Präsidenten Gustavo Petro statt, der den Bericht vom Vorsitzenden der »Comison de Verdad« Francisco de la Roux in Empfang nahm. Der noch amtierende Präsident Ivan Duque demonstrierte einmal mehr sein Desinteresse am kolumbianischen Friedensprozess durch Abwesenheit. In fast vierjähriger Arbeit hatte die Kommission sich der Aufgabe gewidmet, die Wahrheit bzw. die Wahrheiten…
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»Cambio Histórico«
»Cambio Histórico« titelte die kolumbianische Tageszeitung »El Espectador« am 20. Juni 2022, am Tag nach der Wahl von Gustavo Petro zum neuen Präsidenten des Landes. Und in der Tat scheint diese Bewertung nicht zu hoch gegriffen zu sein. Denn es ist das erste Mal, dass in Kolumbien ein explizit linker Kandidat, der nicht aus den Reihen der traditionellen Eliten des Landes stammt, in das höchste Staatsamt gewählt wurde. Nach der ersten Runde der Wahlen am 29. Mai war es durchaus zweifelhaft, ob Petro es tatsächlich schaffen wird. Denn überraschenderweise hatte es nicht der rechtsgerichtete Kandidat, Federico Gutiérrez, in die Stichwahl mit Petro geschafft, sondern der unabhängige Kandidat Rodolfo Hernández. Und…
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IStGH zwingt Regierung Duque zur Unterstützung der JEP
Am 28. Oktober verkündete der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, Karim A. Khan, die Einstellung der im Jahre 2004 gegen die damalige Regierung Uribe aufgenommenen Vorermittlungen zu den Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien. Die Einstellung ist allerdings an eine »nie dagewesene Gegenleistung« verbunden, wie es der in Göttingen lehrende und in Bogotá als Berater der JEP (Jurisdicción para la Paz) tätige Völkerrrechtsprofessor Kai Ambos formulierte. Die Regierung Duque, die bisher alles getan hat, um den kolumbianischen Friedensprozess und die Arbeit der JEP zu behindern musste sich zur Unterstützung und einer engen Zusammenarbeit mit der JEP verpflichten. Damit diese Verpflichtung nicht nur ein Lippenbekentniss bleibt, musste sich Duque zur Bereitstellung…
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Paro Nacional: Schusswaffen gegen Demonstranten
»Unterstützen wir das Recht der Soldaten und Polizei, ihre Waffen zu benutzen, um ihre Integrität zu verteidigen und um Menschen und Eigentum zu schützen …«. Mit diesem Tweet — der mittlerweile gelöscht wurde — hat Alvaro Uribe, Expräsident und ultrarechter Scharfmacher des »Centro Democratico« gehörig Öl in die Flammen deŕ Auseinandersetzungen um den nationalen Streik vom Mittwoch vergangener Woche, dem 28. April 2021, gegossen. Und diese Flammen loderten hoch. Am 28. April sind Tausende von Kolumbianern in allen Städten des Landes auf die Straße gegangen, um gegen eine von der Regierung Duque geplante Steuerreform zu protestieren. Eine Steuerreform, die vor allem diejenigen Bereiche betrifft, denen sich — wie die Mehrwertsteuer auf…
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Der Gewaltkonflikt in Kolumbien
im Spannungsfeld der Erinnerungskulturen»Die Erinnerung ist ein Kampffeld, auf dem sich entscheidet, welche Sichtweise der Vergangenheit vorherrschen soll, in Funktion einer Zukunft, zu der man gelangen will. Aber die Erinnerung wird unter asymmetrischen Bedingungen konstruiert. Das heißt, nicht alle Erinnerungen haben unter gleichen Bedingungen Zugang zur politischen Szene. Indigene und Bauern sind nicht in gleichwertigen Positionen wie die Eliten. Die Opfer verfügen nicht über die gleichen Mittel, ihre Wahrheit zu sagen, wie die Täter.« (Gonzalo Sanchez et al.: Trujillo una tragedia que no cesa. Primer Informe de Memoria Histórica de la Comisión Nacional de Reparación y Reconciliación, Bogotá 2008: 25) Die Aufarbeitung der konfliktreichen Vergangenheit in Kolumbien ist zentraler Teil eines komplexen Transformationsprozesses, in…
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Sozialaktivisten in Kolumbien der
»Rebellion gegen den Staat« beschuldigtAm selben Tag, an dem die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in einer Pressemitteilung die kolumbianische Regierung mit Nachdruck dazu aufgefordert hat, endlich konkrete Maßnahmen gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen gegenüber Bauern, Indigenen und Angehörigen der afrokolumbianischen Minderheit zu ergreifen, zeigt der Staat eine Reaktion, die weltweit Befremden und Entsetzen ausgelöst hat. Anstatt die Aktivist*innen der sozialen Bewegungen, gegen die Übergriffe von paramilitärischen Kräften und bezahlten Killerkommandos besser zu schützen, wurde gestern mit einer koordinierten Aktion zur Verhaftung einiger ihrer Anführer begonnen. Besorgt fragen sich internationale Menschenrechtsbeobachter, ob dies nun der Auftakt zu einer staatlichen Verfolgungskampagne gegenüber oppositionellen Kräften ist, die von der rechts-konservativen Regierung Duque kriminalisiert werden, in dem ihnen “Rebellion gegen den…
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»Reichstagsbrand« in Bogotá?
Die dramatische — selbst aus dem Weltraum wohl lesbare — auf eine Mauer in Medellin gemalte Botschaft »Nos estan matando« (»Sie bringen uns um«) ist ein verzweifelter Hilferuf und hat die Weltöffentlichkeit — zumindest diejenige, die die Ereignisse in Kolumbien beobachtet — aufgeschreckt. Und in der Tat könnte einiges darauf hindeuten, dass wir gegenwärtig Zeugen des Beginns einer von rechtsradikalen Kreisen initiierten Hexenjagd sind, die auf linke und links-liberale Kräfte, auf Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, auf Unterstützer des Friedensabkommens von 2016 sowie auf Angehörige von Minderheiten wie bespielsweise der LGTBI zielt. Was ist geschehen? Nach der Tötung eines Rechtsanwaltes im Polizeigewahrsam hatte es massive Proteste in Bogotá gegen Polizeigewalt gegeben. Es kam…
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Frieden in den Zeiten des Coronavirus?
Wir hatten Glück mit unserer Rückreise nach Deutschland Mitte März, dass wir trotz mehrfacher Verschiebung des Fluges (aber aus anderen Gründen als der der Pandemie) zwei Plätze in der Air France Maschine nach Paris erhalten hatten. Die Corona Krise war noch nicht richtig in Kolumbien angekommen, aber alles was man aus Asien und Europa hörte, konnte einen nicht optimistisch machen. Sollte es tatsächlich zu einem Shutdown der Wirtschaft kommen? Angesichts der unzähligen Straßenverkäufer in kolumbiens Städten eigentlich undenkbar. Wovon sollten sie leben? Groß angelegte Unterstützungprogramme, so wie in Deutschland, konnte ich mir in Kolumbien nicht vorstellen, insbesondere nicht für den sogenannten »informellen Sektor, in dem ein Großteil der Bevölkerung sich…
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Indigene klagen über Genozid in Kolumbien
Die Dachorganisation der indigenen Völker Kolumbiens (Organización Nacional Indígena de Colombia, ONIC ) hat in einem dramatischen Aufruf der kolumbianischen Regierung vorgeworfen, tatenlos der zunehmenden rassistischen Verfolgung der Indigenen im Lande zuzusehen. Seit der Unterschrift des Friedensvertrages von Havanna 2016 habe es 37.533 gewaltsame Zwischenfälle gegen die indigenen Völker gegeben. 158 Indigene seien in dieser Zeit ermordet worden, davon 97 während der Präsidentschaft des aktuellen Präsidenten Iván Duque. Der Frieden — so die ONIC sei in den indigenen Territorien nicht angekommen, stattdessen geschehe vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein »systematischer Genozid«. 70 der 102 indigenen Ethnien seien in dem südamerikanischen Land akut von der physischen und kulturellen Auslöschung bedroht. Die Indigenen…