Friedensprozess

  • Friedensprozess,  Persönliche Beobachtungen

    Die Frage der Gewalt

    Wer nach Kolum­bi­en reist oder dort wohnt muss damit leben, stän­dig einem Wech­sel­bad der Gefüh­le aus­ge­setzt zu sein. Wäh­rend uns einer­seits die atem­be­rau­ben­de Schön­heit des Lan­des und die Lie­bens­wür­dig­keit sei­ner Bewoh­ner, die Viel­falt der Natur, der Eth­ni­en und der Kul­tu­ren fas­zi­niert, wer­den wir gleich­zei­tig Zeu­gen von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und sozia­ler Gewalt, die nicht nur die Besu­cher aus Euro­pa oft in tie­fer Bestür­zung zurück las­sen. Seit fast einem hal­ben Jahr­hun­dert berei­se ich die­ses Land, und seit eini­gen Jah­ren leben Con­stan­za und ich zeit­wei­se in Bogo­tá. Ohne jeden Zwei­fel habe ich die­ses Land lie­ben gelernt. Aber die­se eigen­tüm­li­che Wider­sprüch­lich­keit zwi­schen Lie­be und Gewalt gibt mir bis heu­te Rät­sel auf. Und das, obwohl die…

  • Friedensprozess

    Ein anderes Kolumbien (III): Streitpunkt Sonderjustiz

    Die im Frie­dens­ver­trag ver­ein­bar­te Son­der­ge­richts­bar­keit war und ist eines der wich­tigs­ten Streit­punk­te in der kolum­bia­ni­schen Öffent­lich­keit. Immer wie­der wird einem von Skep­ti­kern oder Geg­nern des Frie­dens­ab­kom­men ent­ge­gen­ge­hal­ten, dass es doch nicht rich­tig sei, die Ver­bre­chen der Gue­ril­la unbe­straft zu las­sen. Abge­se­hen davon, dass die­se Aus­sa­ge nicht die Wahr­heit über die Son­der­ge­richts­bar­keit trifft, wer­den dabei die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, die der kolum­bia­ni­sche Staat sich — vor allem in den 80er und 90er Jah­ren — hat zu Schul­den kom­men las­sen, igno­riert. Doch gera­de hier­in sehe ich eine der größ­ten Leis­tun­gen der Regie­rung unter von Manuél San­tos, dass sie die­se Schuld aner­kannt hat und dadurch einen ent­schei­den­den Bei­trag zur Öff­nung des Weges in den Frie­den…

  • Friedensprozess

    Ein anderes Kolumbien (II): Demokratische Öffnung

    Im zwei­ten Abschnitt des Frie­dens­ab­kom­mens geht es um die demo­kra­ti­sche Mit­wir­kung aller Kolum­bia­ner bei der Gestal­tung des Frie­dens. Ohne eine demo­kra­ti­sche Öff­nung wird es kei­nen erfolg­rei­chen und nach­hal­ti­gen Frie­den geben, so die Über­zeu­gung bei­der Ver­trags­par­tei­en. Die unten skiz­zier­ten Ver­ein­ba­run­gen beschrei­ben drei Zie­le einer  Demo­kra­ti­sie­rung des Lan­des: Ers­tens eine gene­rell grö­ße­re Bür­ger­be­tei­li­gung in allen poli­ti­schen und öffent­li­chen Ange­le­gen­hei­ten, zwei­tens die Aus­wei­tung der Demo­kra­tie als ein Weg, um die Gewalt im Lan­de bei­zu­le­gen, und drit­tens den in Kolum­bi­en so tief sit­zen­den und his­to­risch ver­fes­tig­ten Zusam­men­hang zwi­schen poli­ti­scher und gewalt­sa­mer — auch bewaff­ne­ter — Aus­ein­an­der­set­zung aufzubrechen. Dem­entspre­chend weit­rei­chend sind die ver­ein­bar­ten Zie­le, die sich in den fol­gen­den Eck­punk­ten zusam­men­fas­sen lassen: Die Absi­che­rung garan­tier­ter…

  • Friedensprozess

    Ein anderes Kolumbien (I): “Tierra y Libertad”

    Nach dem Schei­tern des Ple­bis­zits vom 2. Okto­ber 2016 hat­ten bei­de Dele­gan­ti­on nach einer kur­zen Pau­se die Ver­hand­lun­gen in Hava­na wie­der auf­geom­men. Die Regie­rung hat­te sich zuvor mit der rech­ten Oppo­si­ti­on um Exprä­si­dent Uri­be getrof­fen und ver­sucht, deren  wich­tigs­te Kri­tik­punk­te in einen neu­en Ver­hand­lungs­vor­schlag ein­zu­ar­bei­ten. Zu einer gemein­sa­men Posi­ti­on ist es zwar nicht gekom­men (nach wie vor lehnt Uri­be das Abkom­men ab), aber die Regie­rungs­de­le­ga­ti­on ist mit eini­gen gra­vie­ren­den Ände­rungs­wün­schen nach Hava­na zurück­ge­reist. Dort wur­de dann in zähen Ver­hand­lun­gen mit der FARC-Dele­gan­ti­on ein neu­er Ver­trag aus­ge­ar­bei­tet, der am 24. Novem­ber — dies­mal in Bogo­tá — unter­zeich­net wur­de und bei dem die FARC nicht uner­heb­li­che Zuge­ständ­nis­se gemacht hat. Dies­mal ließ sich…

  • Friedensprozess

    Friedensnobelpreis und die Zivilgesellschaft

    Man kann zu Juan Manu­el San­tos eine kri­tisch distan­zier­te Hal­tung ein­neh­men, aber die heu­te in Oslo bekannt gege­be­ne Ver­lei­hung des Frie­dens­no­bel­prei­ses an ihn ist zwei­fel­los eine sehr gute Nach­richt. Denn die­ser Preis ist auch eine Aus­zeich­nung für all die­je­ni­gen, die trotz erbit­ter­ter Wider­stän­de im Lan­de in den letz­ten Jah­ren immer wie­der für den Frie­dens­pro­zess ein­ge­tre­ten sind. Er ist also auch eine Aus­zeich­nung für die kolum­bia­ni­sche Zivil­ge­sell­schaft, die durch Akti­vi­tä­ten von indi­ge­nen Grup­pen, afro-kolum­bia­ni­schen Gemein­schaf­ten, Men­schen­rechts­be­we­gung, LGTB-Bewe­gung, Umwelt­schüt­zer, Gewerk­schaf­ten u.a.m. geprägt ist. San­tos hat den Mut gehabt, die­sen Weg als Ange­hö­ri­ger der tra­di­tio­nel­len poli­ti­schen Klas­se zu gehen und dar­an sein poli­ti­sches Schick­sal zu knüp­fen. Und er wuß­te sehr wohl, dass er…

  • Friedensprozess

    Nach dem Referendum: Was nun, Kolumbien?

    Der Schock sitzt tief. Die Mehr­heit der Kolum­bia­ner haben sich gegen den zwi­schen der Regie­rung und der FARC-Gue­ril­la in Havan­na aus­ge­han­del­ten Frie­dens­ver­trag aus­ge­spro­chen. Mit einer hauch­dün­nen Mehr­heit von ca. fünf­zig­tau­send Stim­men fiel die Ent­schei­dung. Bei einer Wahl­be­tei­li­gung, die man nicht anders als ent­täu­schend bezeich­nen kann. Zwar sind 37% für kolum­bia­ni­sche Ver­hält­nis­se gar nicht so schlecht, bei einer der­art wich­ti­gen Ent­schei­dung aber zu wenig. Und bei der Wahl­be­tei­li­gung wird in eini­gen Medi­en denn auch mit Erklä­rungs­ver­su­chen für das Desas­ter ange­setzt. Vie­le poten­zi­el­le Befür­wor­ter waren sich — so wird ver­mu­tet — der von den Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tu­ten pro­gnos­ti­zier­ten Zustim­mungs­mehr­heit zu sicher und sind dann aus wel­chen Grün­den auch immer zuhau­se geblie­ben, weil sie annah­men, auf…

  • Friedensprozess,  Landschaften und Orte

    Feierliche Unterzeichnung in Cartagena

    Heu­te war es soweit. Unter der Anwe­sen­heit von UN-Gene­ral­se­kre­tär Ban Ki Moon, und fast aller Staats­chefs aus Latein­ame­ri­ka, unter ihnen Raúl Cas­tro (Cuba), Michel­le Bache­let (Chi­le), Nicolás Madu­ro (Vene­zue­la), Rafa­el Cor­rea (Ecua­dor), Sal­va­dor Sáchez (El Sal­va­dor), Hora­cio Car­tes (Para­gu­ay), Enri­que Peña Nieto (Mexi­co), Jimi Mora­les (Gua­te­ma­la), Luis Guil­ler­mo Soli (Cos­ta Rica), Pedro Pablo Kuc­zyn­ski (Peru), Mau­ricio Macri (Argen­ti­ni­en), Juan Car­los Vare­la (Pana­ma), Dani­lo Medi­na Sán­chez (Domi­ni­ka­ni­sche Repu­blik), wur­de das in Havan­na ver­ein­bar­te Frie­dens­do­ku­ment zwi­schen der Regie­rung Kolum­bi­ens und der FARC-EP in einer fei­er­li­chen Zere­mo­nie von Prä­si­dent San­tos und Gue­ril­la­füh­rer Rodri­go Lon­do­ño (aka: Timo­león Jimé­nez, aka: Timo­chen­ko) unter­zeich­net. Die Unter­zeich­nung fand auf der gro­ßen “Pla­za de Ban­de­ras” vor dem “Cen­tro de…

  • Friedensprozess,  Landschaften und Orte,  Persönliche Beobachtungen

    Quibdo

    Seit eini­gen Tagen befin­den wir, Con­stan­za und ich, uns in Quib­do, der Haupt­stadt des Depart­a­ment­os Cho­co. Wir besu­chen Ursu­la Holz­ap­fel und Ulli Koll­witz. Mit bei­den haben wir im Ver­ein Wis­sens­kul­tu­ren e.V. in den letz­ten Jah­ren meh­re­re Ver­an­stal­tun­gen zu Kolum­bi­en ins­be­son­de­re zur Situa­ti­on im Cho­co, durch­ge­führt. Nun haben wir es end­lich geschafft, der Ein­la­dung nach Quib­do fol­gen zu kön­nen. Con­stan­za und ich waren vor vie­len Jah­ren — es war in den 80er des vori­gen Jahr­hun­derts — schon ein­mal für ein paar Tage in Quib­do und waren gespannt, was sich seit die­ser Zeit ver­än­dert hat. Ich habe in Erin­ne­rung, dass die Stadt aus einer Viel­zahl von Holz­häu­sern bestand, die dem häu­fi­gen Regen…

  • Friedensprozess

    Tom Koenigs’ zweiter Bericht

    Der deut­sche Son­der­be­auf­trag­te für den Frie­dens­pro­zess in Kolum­bi­en, Tom Koe­nigs, hat sei­nen zwei­ten Bericht vor­ge­legt. Das, was ich an sei­nem ers­ten Bericht kri­ti­siert habe, näm­lich, dass Uner­wähnt­las­sen der para­mi­li­tä­ri­schen Akti­vi­tä­ten hat er nun dan­kens­wer­ter­wei­se nach­ge­holt. Und er hat es sehr gründ­lich getan, so dass sei­ner Ana­ly­se kaum etwas hin­zu­zu­fü­gen ist. “Die Nach­fol­ger des Para­mi­li­ta­ris­mus (NdP) ste­hen im kras­sen Wider­spruch zu allen Prot­ago­nis­ten (Gue­ril­la, Regie­rung, Zivil­ge­sell­schaft, Opfer usw.) und Inhal­ten (Land­wirt­schafts­re­form, Opfer­ent­schä­di­gung, Land­rück­ga­be, Ende der Dro­gen­wirt­schaft, Gerech­tig­keit, Nicht-Wie­der­ho­lung usw.) der Frie­dens­ver­trä­ge. Sie bedro­hen ihre Umset­zung akut. (…) Die Grup­pen selbst geben sich ent­we­der poli­ti­sie­rend euphe­mis­ti­sche Namen (z.B. mili­ci­as gai­ta­ni­s­tas unter Beru­fung auf den cha­ris­ma­ti­schen Volks­tri­bun der 1940 Jah­re Jor­ge Gai­tán) oder…

  • Friedensprozess

    Uribistas und Paramilitarismus verhindern den Friedensschluss

    Die Hoff­nung, die Frie­dens­ver­hand­lun­gen in Havan­na mit der Unter­zeich­nung des Ver­tra­ges am 23. März 2016 abzu­schlie­ßen haben sich lei­der vor­erst zer­schla­gen. Wor­an genau es geschei­tert ist, ist unklar, aber durch­ge­si­ckert ist, dass es die Hal­tung zu den rechts­ge­rich­te­ten para­mi­li­tä­ri­schen Ver­bän­den war, über die man sich nicht eini­gen konn­te. Das, was ich in eini­gen der vor­her­ge­hen­den Arti­kel beschrie­ben hat­te, näm­lich dass die Para­mi­li­tärs begon­nen haben, sich in Posi­ti­on zu brin­gen, um das durch den Rück­zug der FARC ent­ste­hen­de Macht­va­ku­um in bestimm­ten Regio­nen aus­zu­fül­len, ist selbst­ver­ständ­lich auch den Ver­hand­lungs­de­le­ga­tio­nen in Hava­na nicht ver­bor­gen geblie­ben. Die­se Ent­wick­lung steht in kras­sem Wider­spruch zu den Zie­len des Frie­dens­pro­zes­ses und bedroht die Hoff­nung aller Betei­lig­ten, v.a.…