Friedensprozess,  Geschichte

»Cambio Histórico«

»Cam­bio His­tóri­co« titel­te die kolum­bia­ni­sche Tages­zei­tung »El Espec­ta­dor« am 20. Juni 2022, am Tag nach der Wahl von Gustavo Petro zum neu­en Prä­si­den­ten des Lan­des. Und in der Tat scheint die­se Bewer­tung nicht zu hoch gegrif­fen zu sein. Denn es ist das ers­te Mal, dass in Kolum­bi­en ein expli­zit lin­ker Kan­di­dat, der nicht aus den Rei­hen der tra­di­tio­nel­len Eli­ten des Lan­des stammt, in das höchs­te Staats­amt gewählt wurde.

Nach der ers­ten Run­de der Wah­len am 29. Mai war es durch­aus zwei­fel­haft, ob Petro es tat­säch­lich schaf­fen wird. Denn über­ra­schen­der­wei­se hat­te es nicht der rechts­ge­rich­te­te Kan­di­dat, Feder­i­co Gut­iérrez, in die Stich­wahl mit Petro geschafft, son­dern der unab­hän­gi­ge Kan­di­dat Rodol­fo Hernán­dez. Und der konn­te sich für die Stich­wahl der Unter­stüt­zung der Wäh­ler nicht nur des rechts­ge­rich­te­ten Bünd­nis­ses »Coali­ción Equi­po por Colom­bia« son­dern aller kon­ser­va­ti­ven Kräf­te sicher sein, die unter allen Umstän­den eine Wahl von Petro ver­hin­dern woll­ten. Mit einer sol­chen Ein­mü­tig­keit des kon­ser­va­ti­ven Lagers hät­te man bei einer ande­ren Kon­stel­la­ti­on, mit Gut­iérrez als Kan­di­dat, nicht so ohne wei­te­res rech­nen dür­fen. Denn auch Hernán­dez hat­te sich in sei­nem popu­lis­ti­schen Wahl­kampf ja als Kan­di­dat der mit den tra­di­tio­nel­len poli­ti­schen Eli­ten Unzu­frie­de­nen prä­sen­tiert, ohne jedoch ein alter­na­ti­ves poli­ti­sches Pro­gramm vor­zei­gen zu kön­nen. Bei einer Stich­wahl zwi­schen Petro und Gut­iérrez wäre es somit nicht sicher gewe­sen, dass sei­ne Wäh­ler geschlos­sen den Kan­di­da­ten des rech­ten Wahl­bünd­nis­ses favo­ri­siert hät­ten. So aber, waren die Kar­ten neu gemischt. Noch am Wahl­abend for­mier­te sich eine Anti-Petro-Koali­ti­on, die von Hernán­dez’ »Liga de Gober­nan­tes Anti­cor­rup­ción« über Ser­gio Fajar­dos »Coali­ción Cen­tro Espe­ran­za«, Ingrid Betancourts »Part­ido Ver­de Oxí­ge­no« bis hin zu Gut­iérrez’ »Coali­ción Equi­po por Colom­bia« und sogar bis in die libe­ra­le Par­tei reich­te. Rein arith­me­tisch schien die Sache klar. Nach den Stim­men­an­tei­len der ers­ten Run­de schien der Anti-Petro-Koali­ti­on die Mehr­heit sicher zu sein. Aber es kam anders. Mit 50,44% der Stim­men gegen­über 47,31% wur­den Gustavo Petro und die für die Vize­prä­si­dent­schaft nomi­nier­te Fran­cia Már­quez gewählt. Ihre »Coali­ción Pac­to His­tóri­co» wur­de von der armen Bevöl­ke­rung, Afro­ko­lum­bia­nern, Indi­ge­nen, Bau­ern, Arbei­tern, Men­schen­rechts- Frie­dens- und Öko-Akti­vis­ten, Ange­hö­ri­gen der Frau­en- und LGT­BI-Bewe­gun­gen, den Gewerk­schaf­ten und auch einer Rei­he von Intel­lek­tu­el­len unterstützt.

Die Schwer­punk­te des Wahl­pro­gramms von Petro und Már­quez las­sen sich stich­wort­ar­tig wie folgt zusam­men­fas­sen: Bekämp­fung der Ungleich­heit, Stär­kung der Rech­te der Frau­en, Demo­kra­ti­sie­rung und För­de­rung poli­ti­scher Par­ti­zi­pa­ti­on, Maß­nah­men gegen den Kli­ma­wan­del, Ein­lei­ten der Ener­gie­wen­de in Kolum­bi­en, sowie Reduk­ti­on der wirt­schaft­li­chen Abhän­gig­keit des Lan­des von einer extrak­ti­vis­ti­schen, auf den Export von Roh­stof­fen aus­ge­rich­te­ten Wirt­schafts­po­li­tik. Ein wich­ti­ger Schwer­punkt wird auch auf der Umset­zung des Frie­dens­ab­kom­mens von 2016 lie­gen. Dies wur­de bekannt­lich von Petros Vor­gän­ger Ivan Duque weit­ge­hend blockiert.

Petro und Már­quez wer­den es nicht leicht haben, ihr ambi­tio­nier­tes Pro­gramm durch­zu­set­zen, denn die Mehr­heits­ver­hält­nis­se in den bei­den Kam­mern des Kon­gres­ses, dem Senat und der »Came­ra de Repre­sen­tan­tes«, sind auch nach den Kon­gress­wah­len im März 2022 kom­pli­ziert. Der neue Prä­si­dent wird auf die ande­ren Par­tei­en zuge­hen müs­sen. Dass er dies auch macht, zeigt sei­ne Kabi­netts­lis­te, die bereits kurz nach der Wahl vor­ge­stellt wur­de und auf der sich auch libe­ra­le und kon­ser­va­ti­ve Poli­ti­ker befinden.

Erst­mals hat sich im neu­en Kon­gress eine Grup­pe von Abge­ord­ne­ten als Ange­hö­ri­ge der LGT­BI-Bewe­gung geoutet. Bereits wäh­rend des Wahl­kamp­fes hat­ten sich 27 Kan­di­da­ten dazu bekannt. 7 wur­den schließ­lich auch gewählt. Kolum­bi­en gilt als eines der LGT­BI-freund­lichs­ten Län­der Latein­ame­ri­kas. Bereits 2011 wur­den gleich­ge­schlecht­li­che Ehen ermög­licht, das Adop­ti­ons­recht für sie wur­de 2015 gesetz­lich gere­gelt und seit 2017 wer­den sie auch nicht mehr aus den Streit­kräf­ten aus­ge­schlos­sen. Bereits im Frie­dens­ab­kom­men von 2016 zwi­schen der Regie­rung und der dama­li­gen FARC-Gue­ril­la haben von ins­ge­samt 578 Para­gra­phen 130 eine Genderperspektive.