-
Sozialaktivisten in Kolumbien der
»Rebellion gegen den Staat« beschuldigtAm selben Tag, an dem die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in einer Pressemitteilung die kolumbianische Regierung mit Nachdruck dazu aufgefordert hat, endlich konkrete Maßnahmen gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen gegenüber Bauern, Indigenen und Angehörigen der afrokolumbianischen Minderheit zu ergreifen, zeigt der Staat eine Reaktion, die weltweit Befremden und Entsetzen ausgelöst hat. Anstatt die Aktivist*innen der sozialen Bewegungen, gegen die Übergriffe von paramilitärischen Kräften und bezahlten Killerkommandos besser zu schützen, wurde gestern mit einer koordinierten Aktion zur Verhaftung einiger ihrer Anführer begonnen. Besorgt fragen sich internationale Menschenrechtsbeobachter, ob dies nun der Auftakt zu einer staatlichen Verfolgungskampagne gegenüber oppositionellen Kräften ist, die von der rechts-konservativen Regierung Duque kriminalisiert werden, in dem ihnen “Rebellion gegen den…
-
Jenseits der Pandemie leidet Chocó
Aus dem Chocó kommen erneut schlimme Nachrichten. Über Ursula Holzpafel und Ulrich Kolwitz, die seit über dreißig Jahren zusammen mit der Diözese in Quibdó in der »Comisión Diocesana Vida, Justicia y Paz« in der Menschenrechtsarbeit aktiv sind und mit denen wir von WISSENSKULTUREN seit vielen Jahren eng verbunden sind, erreicht uns ein besorgniserregender Bericht. In einem gemeinsamen Aufruf von afrokolumbianischen und indigenen Organisationen, des »Consejo Comunitario Mayor de la Asociación Campesina Integral del Atrato – COCOMACIA«, dem »Mesa Indígena del Chocó«, dem »Foro Interétnico Solidaridad Chocó«, dem »Red Departamental de Mujeres Chocoanas« und dem »Mesa Territorial de Garantías Chocó« wird auf die alarmierende Zunahme der Verletzung der individuellen und kollektiven…
-
Zu den Ereignissen des 21. November
Wer Kolumbien kennt, weiß, dass es kaum ein anderes Land gibt, das eine größere Diversität in jeglicher Hinsicht zu bieten hat. Klimatisch, geografisch, biologisch, ethnisch, kulturell, musikalisch und vieles mehr. Der 21. November 2019, der Tag des Generalstreiks, war ein Tag, an dem diese Diversität in einer anderen Hinsicht deutlich wurde: An einunddemselben Tag konnten wir viele Kolumbien gleichzeitig sehen. Ein Kolumbien mit einer eindrucksvollen, würdevollen, ausgesprochen friedlichen und augelassenen Manifestation für die sozialen und politischen Rechte der Bevölkerung, mit einer klaren Oppositionsansage gegenüber der Regierung. »Una fiesta politica« wie einige der teilnehmenen Politiker, Journalisten, Künstler in Interviews während der Manifestation sagten. Dann aber sahen wir auch massive staatliche Repression,…
-
»¡Ni uno mas!«
¡Ni uno mas! — Unter diesem Motto demonstrierten Menschen heute nicht nur in Kolumbien sondern weltweit gegen die fortgesetzte Gewalt gegen Menschenrechts- und Friedensaktivisten. In Kolumbien sind seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens Ende 2016 die Anzahl der Morde an Aktivist*innen alarmierend angestiegen. Allein zwischen Dezember 2016 und August 2018 wurden mehr als 300 Bäuer*innen, Angehörige indigener Völker, Studierende, Lehrer*innen, Afro- Nachfahren, sowie Politiker*innen ermordet, weil sie ihre Territorien, die Umwelt und ihre Rechte verteidigten, anders dachten und sich für den Frieden engagierten. Die bisher ohnehin schleppende Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der FARC-Guerilla und der scheidenden Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos läuft Gefahr zu scheitern, da der neue Präsident Iván…
-
Friedensnobelpreis und die Zivilgesellschaft
Man kann zu Juan Manuel Santos eine kritisch distanzierte Haltung einnehmen, aber die heute in Oslo bekannt gegebene Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn ist zweifellos eine sehr gute Nachricht. Denn dieser Preis ist auch eine Auszeichnung für all diejenigen, die trotz erbitterter Widerstände im Lande in den letzten Jahren immer wieder für den Friedensprozess eingetreten sind. Er ist also auch eine Auszeichnung für die kolumbianische Zivilgesellschaft, die durch Aktivitäten von indigenen Gruppen, afro-kolumbianischen Gemeinschaften, Menschenrechtsbewegung, LGTB-Bewegung, Umweltschützer, Gewerkschaften u.a.m. geprägt ist. Santos hat den Mut gehabt, diesen Weg als Angehöriger der traditionellen politischen Klasse zu gehen und daran sein politisches Schicksal zu knüpfen. Und er wußte sehr wohl, dass er…
-
Tom Koenigs’ Schweigen
Es ist eine paradoxe Sitaution: Während die Hoffnung auf den Abschluss eines Friedensvertrages zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC gestiegen und ein Frieden tatsächlich in greifbare Nähe gerückt ist, hat die Zahl der politisch motivierten Morde in Kolumbien 2015 zugenommen. Während bereits im Dezember die Menschenrechtskommission der UNO darauf aufmerksam gemacht hat, dass in Kolumbien 2015 mehr Menschen aus politischen Motiven umgebracht wurden als im Jahresdurchschnitt der letzten zwanzig Jahre (UNHR: comunicado de prensa). In einer am 19. November 2015 veröffentlichten Presseerklärung macht der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) darauf aufmerksam, dass er zwischen 1994 und 2015 insgesamt 729 politischer Morde in Kolumbien verzeichnet hat, davon allein…
-
Bodyguards der Armen
Wer in Bogotá lebt entwickelt eine andere Sensibilität für Gefahren, die einem von Personen mit unlauteren Absichten drohen können, als jemand, der in Bonn lebt. Zweifellos wird auch in Bonn bei einem nächtlichen Fußweg von einer Party nach Hause die Aufmerksamkeit gesteigert, wenn man Schritte in seiner Nähe hört. Aber solange die körpereigenen Alarmsensoren nicht außergewöhnliche Bewegungen des Anderen melden, die man — zu Recht oder zu Unrecht — als beunruhigend wertet, bleibt man doch relativ gelassen. In Bogotá ist das etwas anders. Schon tagsüber melden die Sensoren sofort, wenn eine Person sich zu nah befindet, zu lange hinter einem hergeht oder um Auskunft nach einer Adresse bittet. Freund oder…
-
So wird das nix! Aufflammende paramilitärische Gewalt
könnte alles in Frage stellenWie kann ein dauerhafter Frieden in Kolumbien aussehen, wenn zwar die Regierung mit der FARC in Havanna seit Jahren verhandelt, gleichzeiitg aber den terroristischen Aktionen rechtsgerichter Paramilitärs nichts entgegensetzt wird? Diese Frage muss man sich heute, nach einer Serie äußerst besorgniserregender Vorfälle, durch die allein im November 2015 mehrere bekannte Menschenrechtsvertreter nicht nur bedroht sondern leider auch Opfer paramiliärischer Terrorakte geworden sind, stellen. Am 9. Oktober wurde JOHN JAIRO RAMÍREZ OLAYA aus seinem Haus in Buenaventura, der Hafenstadt an der kolumbianischen Pazifikküste (Departamenta Valle de Cauca) von 10 Paramilitärs entführt und anschließend ermordet. Wenige Tage später, am Nachmittag des 13. November wurde der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist DANIEL ABRIL, Mitglied des…
-
Getsemani
Gestern waren Constanza und ich nach längerer Zeit mal wieder in Getsemani, einem der vier Stadtviertel Cartagenas, die von der großen Verteidungsmauer umgeben ist, die die Spanier während ihrer Kolonalherrschaft hier zum Schutz gegen Piraten errichtet hatten. Getsemani ist insofern etwas Besonderes, als es noch immer eine Sozialstruktur besitzt, in der sich Tourismus und gewachsene Urbanität noch die Waage halten. Während in den beiden anderen innerhalb der ummauerten Stadt liegenden Barrios Santo Domingo (Centro) und San Diego nahezu alle kleinen Gemischtwarengeschäfte und Handwerker, die wir vor zehn Jahren dort noch vorgefunden hatten, verschwunden sind und an ihre Stelle Juwelierläden, Boutiquen, Souvenierläden und Luxusrestaurants getreten sind, macht Getsemani (noch) einen ganz…
-
Erster Bericht des deutschen Sonderbeauftragten liegt vor
Der im April von der deutschen Bundesregierung ernannte Sonderbeauftragte für den Friedensprozess in Kolumbien, Tom Koenigs, hat seinen ersten Bericht vorgelegt (T. Koenigs: Bericht zum Friedensprozess in Kolumbien). Koenigs ist menschenrechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. In seinem Bericht skizziert er in groben Zügen die Entstehungsgeschichte und den Verlauf der nun über 70-jährigen Gewaltauseinandersetzung in Kolumbien, geht auf die veränderten geopolitischen Konstellationen ein und den Druck auf beide Seiten, sich einer realistischen Sichtweise zur Beendigung des Konfliktes zu beugen.“Das offene Eingeständnis, dass ein vollständiger militärischer Sieg über die Guerilla nicht gelingt und das (implizite) Eingeständnis einer Mitverantwortung für die zivilen Opfer war für Kolumbiens Präsidenten Juan…