Zu den Ereignissen des 21. November
Wer Kolumbien kennt, weiß, dass es kaum ein anderes Land gibt, das eine größere Diversität in jeglicher Hinsicht zu bieten hat. Klimatisch, geografisch, biologisch, ethnisch, kulturell, musikalisch und vieles mehr. Der 21. November 2019, der Tag des Generalstreiks, war ein Tag, an dem diese Diversität in einer anderen Hinsicht deutlich wurde: An einunddemselben Tag konnten wir viele Kolumbien gleichzeitig sehen. Ein Kolumbien mit einer eindrucksvollen, würdevollen, ausgesprochen friedlichen und augelassenen Manifestation für die sozialen und politischen Rechte der Bevölkerung, mit einer klaren Oppositionsansage gegenüber der Regierung. »Una fiesta politica« wie einige der teilnehmenen Politiker, Journalisten, Künstler in Interviews während der Manifestation sagten.
Dann aber sahen wir auch massive staatliche Repression, Gewalt, Vandalismus was zu Ausgangssperren in Bogotá und Cali führte. Dann wieder tagelang ausgelassene friedliche »Cacerolasos« — sogar direkt vor dem Wohnhaus des Präsidenten. Und das teilweise mit Choreographien, die manche Fankurven von Fußballvereinen in den Schatten stellen könnte.
Die Irritationen, die diese widersprüchlichen Bilder hervorriefen, hatten aber bereits viel früher begonnen. Denken wir nur an die wochenlange Panikmache vor Beginn des Generalstreiks. Dort haben bestimmte Interessenkreise unter Rückgriff auf ein fragwürdiges kulturelles Gedächtnis der Kolumbianer und unter unverantwortlicher Nutzung der Social-Media-Kanäle eine Hysterie erzeugt, die letztlich den Boden bereitete für eine gewaltvolle Intervention.
Die hätte nicht sein müssen. Und sie hat gezeigt, dass die Botschaft des Friedensvertrages von Habanna immer noch nicht bei allen Kolumbianern angekommen ist. Sehr deutlich hat dies die neugewählte Bürgermeisterin von Bogotá, Claudia Lopez, — die übrigens selbst auch mitdemonstriert hat — kommentiert, als sie bekräftigte, dass eine Manifestation – auch in dieser Größenordnung – selbstverständlich ein verfassungsmäßiges Grundrecht auf politische Oppsoition sei.
Aber die im letzten Jahr gewählten Regierung Duque hält aber offensichtlich immer noch im alten uribistischen Denken fest, dass jegliche Opposition gegen die Regierung ein subversiver Akt ist. Die Machtdemonstration des Staates war eindeutig: Ein massives Polizei- und Militäraufgebot, äußerst fragwürdige Provokatuere, von denen einige, als sie von Demonstranten zur Rede gestellt wurden, zugeben mussten, COP 50.000,– erhalten zu haben, um ordentlich Randale zu machen. Von wem? Ich weiß es nicht.
Immerhin gibt es Polizisten, die sich für die überzogene Härte beim Polizeieinsatz öffentlich entschuldigten. Die Videoaufzeichnungen, die ich über Twitter gesehen habe, sind in der Tat beunruhigend. Höchst irritierend auch, dass da Polizisten waren, die gar keine Identifikationsnummern hatten und auf Befragen jede Auskunft darüber verweigerten.
Zweifellos sind auch die Bilder über den Vandalismus, der stattgefunden hat bedrückend. Da wurden Bürger durch eine Flut von Fake-News in Angst und Schrecken versetzt. Wann hat man zuletzt in Bogotá Bewohner mit Macheten in der Hand gesehen, die glaubten ihr Hab und Gut gegen einen angeblich brandschatzenden Mop verteidigen zu müssen. Da war sehr viel Panikmache im Spiel.
Auf der Seite der Demonstrierenden, wurde versucht, die gewaltbereiten Provokateuere zu isolieren. Was nicht immer gelang. Ob wirklich Paramilitärs eingeschleust wurden, die die Gewalt immer wieder neu entfachen wollten (oder sollten?) — wie behauptet wird – lässt sich schwer prüfen. In Cali waren es offfensichtlich stadtbekannte Hooligans, die im Schutz der Manifestation mal ordentlich die Sau raus lassen wollten. All diese Erscheinungen sind uns in Deutschland ja auch nicht ganz unbekannt.
Die Tage nach dem 21. November verliefen friedlicher, wenngleich die Proteste tagtäglich weitergehen. Insbesondere nach dem Tod des achtzehnjährigen Studenten Dilan Cruz, der von einer Tränengasgranate der berüchtigten Polizeieinheit ESMAD am Kopf getroffen worden war, kommt Kolumbien nicht mehr zur Ruhe. Von Präsident Duque wird nun nicht nur ein klares Bekenntnis zum Friedensprozess gefordert, sondern auch seine zielstrebige Umsetzung.