Erinnerungskultur

Plädoyer fürs Träumen

Sind uns die Träume abhan­dengekom­men? Weit und bre­it im Feld der poli­tis­chen Diskurse und ihrer medi­alen Ver­bre­itung in die Poren des öffentlichen Denkens ist keine Rede zu hören, die die soziale Utopie als Pro­jekt zu for­mulieren wagt. Ein Pro­jekt, das den gesellschaftlichen Sta­tus Quo nicht nur in Frage stellt, son­dern das gesellschaftliche Fun­da­ment, dem dieser Zus­tand entwach­sen ist, scheint jen­seits unseres Denkhor­i­zonts zu sein.

Wenn schon die zaghafte Forderung nach mod­er­ater Besteuerung der großen Ver­mö­gen oder der Ruf nach Deck­elung der Miet­preise, um das Wohnen auch für Nor­malver­di­ener bezahlbar zu machen, als Bedro­hung der Frei­heit des Indi­vidu­ums und Rück­kehr in den Zwangsstaat des DDR-Sozial­is­mus kri­tisiert wird, wie toll­dreist wäre dann wohl die Forderung nach ein­er anderen, gerechteren und nicht auf der Ver­her­rlichung des pri­vat­en Eigen­tums an Pro­duk­tion­s­mit­teln als ange­blichem Garan­ten unseres Wohl­stands basierten Gesellschaft? Müssen wir uns als linke Real­is­ten nicht darauf beschränken, die Dinge Schritt für Schritt…wie schon der alte Sozialdemokrat weise lächel­nd sagte…zum Guten zu wen­den? Und der Überkan­zler aus der Hans­es­tadt kön­nte hinzufü­gen: Wer Visio­nen hat, sollte zum Ther­a­peuten gehen.

Aber vielle­icht liegen die Dinge auch ganz anders: Bewe­gen wir deshalb nur wenig, weil wir keine bewe­gende Vision von ein­er besseren Welt haben? Weil wir vergessen haben, wie wir selb­st zur müh­samen Prax­is und täglichem Kampf durch die Vorstel­lung, die Hoff­nung, ja, auch den Glauben an die Möglichkeit des ganz Anderen getrieben wor­den sind? Seit mehr als 30 Jahren ver­lieren die Men­schen, die vom Verkauf ihrer geisti­gen und kör­per­lichen Arbeit­skraft leben, nicht nur an Einkom­men, son­dern auch an poli­tis­ch­er Gestal­tungs­macht. Obwohl man ihnen gesagt hat, dass ihr tem­porär­er Verzicht, die Enthal­tung von jeglich­er Sys­temkri­tik und das Still­hal­ten, auch wenn es ger­ade mal weh tut, let­z­tendlich zu einem guten Ende führen wer­den: Mehr Wohl­stand und vor allem mehr Har­monie. Auch eine Vision, aber nicht die, die ich meine.

Die Mobil­machung des Kon­formis­mus ist all­seit­ig. „Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschen­den“ – so leit­et Bertolt Brecht sein Lob der Dialek­tik ein. Und er fährt mit dem Opti­mis­mus, den man irgend­wann mal his­torisch nan­nte, fort: „Das Sichere ist nicht sich­er. So, wie es ist, bleibt es nicht. Wenn die Herrschen­den gesprochen haben, wer­den die Beherrscht­en sprechen.“

Der große Ernst Bloch schreibt „Das Prinzip Hoff­nung“. Er schreibt es, wohl wis­send, dass in Zeit­en wie den unsri­gen die Rede von der anderen Gesellschaft ein wage­mutiges Unter­fan­gen ist. Sein genialer Par­forceritt durch die Agen­da der sozialen Utopi­en der Geschichte will uns zeigen: Unter den schwierig­sten Rah­menbe­din­gun­gen haben Men­schen von ein­er besseren Welt geträumt und ver­sucht, ihre Träume mit ein­er ratio­nalen Kon­struk­tion zu sta­bilen Szenar­ien der Zukun­ft zu machen.

Im Essay »Bloch« will uns unser Autor Dominik van Os mit Fan­tasie und biographis­ch­er Recherche seine Vorstel­lung vom großen Philosophen und ratio­nalen Träumer nahebringen.

Gerd Pütz (Wis­senskul­turen)