Wissensordnung und Emanzipation
In der Sektion »Emanzipatorische Potenziale der Wissensgesellschaft« (EPOWI) stellen wir uns die Frage: »was ist eigentlich das Revolutionäre« bzw. das »Emanzipatorische« an der sogenannten »digitalen Revolution«? Wer sind die Subjekte dieser Transformation und was ist ihr Gegenstand? Wir knüpfen an die Beobachtung an, dass die Wissensformation der Gesellschaft sich insofern an einem Kreuzweg befindet, als gegenwärtig Weichenstellungen erfolgen, die darüber entscheiden, ob die Potenziale der Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden, um mehr Selbstbestimmung der Individuen und größere Transparenz der anonymen Systeme der Macht herzustellen, oder aber eher umgekehrt eine stärkere Kontrolle der Bürger durch Sammlung und Auswertung der Daten, die sie bei all ihren Handlungen hinterlassen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit der freien gemeinschaftlichen Verfügung zugänglich sein wird, oder aber immer mehr zu einer Ware wird, die proprietären Prinzipien und ökonomischen Kalkülen unterworfen sein wird.
Es geht uns u.a. darum, den gegenwärtigen durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien ausgelösten oder zumindest beflügelten Transitionsprozess, in dem sich die moderne Gesellschaft befindet, zu verstehen. Wir greifen die vielerorts vertretene These auf, dass die gegenwärtig zu beobachtende Transition in einen gesellschaftlichen Zustand führt, der “Wissensgesellschaft” bezeichnet werden kann und fragen nach der sozialen Qualiät eines solchen Transitionsprozesses gemessen an einer emanzipatorischen Entwicklung.
Für diesen Verstehensprozess greifen wir auch eine Reihe von historischen Beispielen auf. Am Beispiel des Umbruchs von der Aufklärung zur Romantik wird exemplarisch nachgezeichnet, wie sich Diskurskonstellationen verändern und so letztlich zu einer neuen Wissensordnung führen können. Anhand ausgewählter Literaturstellen wird der Wandel in den Diskursen von Philosophie, Epistemologie, Politik und Kunst herausgearbeitet und in eine Beziehung gesetzt zu den Debatten, wie sie im Diskurs um die sogenannte »Postmoderne« geführt werden und zu den aktuellen Veränderungen der gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse, wie wir sie gegenwärtigen im Zuge der sogenannten »digitalen Revolution« beobachten.
Oder am Beispiel der Herausbildung des freien Welthandels und die Entwicklung Englands zur dominanten Weltmacht im 18. Jahrhundert, anhand der Auseinandersetzungen innerhalb des Liberalismus im Zusammenhang mit der amerikanischen Revolution, über Sklavenhandel und Sklavenhaltung in den USA und den europäischen Kolonien sowie über die Leibeigenschaft in Europa selbst, kann sehr gut gezeigt werden, wie sich Wissensordnungen schrittweise verändern. Das Gleiche gilt für die Analyse des zeitweiligen Zurückdrängens liberalen Denkens in der ersten Hälfte des 20. Jahhrunderts und seiner erneuten Durchsetzung in der zweiten Hälfte des 20. Jahhunderts.
Zentraler Orientierungspunkt der Sektion bleibt aber die Diskussion um die gegenwärtigen Entwicklungschancen der »Wissensgesellschaft« auf Basis der sogenannten »digitalen Revoltion«. Unter anderem wurde die Frage der »Wissensallmende«, eingebettet in die generellere Diskussion um Gemeingüter bzw. die »Commons« aufgegriffen. 2009 hatte diese Diskussion durch die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaft im Jahre 2009 an Elinor Ostrom einen enormen Aufschwung genommen. Im Rahmen dieses Diskurses befassen wir uns mit der Frage, was ist eine Wissensallmende, wie könnte sie genau aussehen und welche Überlebensmöglichkeit hätte sie in einer Welt, die durch die Hegemonie einer warenproduzierenden, und damit an der Schaffung von Mehrwert orientierten Gesellschaft geprägt ist. Auch hier unternahmen wir einem Ausflug in die Geschichte und fragten: welche Bedeutung hat die Allmende in früheren Epochen des Feudalismus und des aufstrebenden Industriekapitalismus tatsächlich gespielt. Wie könnte die Utopie einer Wissensallmende aussehen? Und in welchem Verhältnis stehen Immaterialgüter (wie z.B. Wissen) und materielle Güter (z.B. Produkte, in denen hochkomplexes Wissen inkorporiert ist)?