Gesellschaft

Historischer Exkurs: Bolivar und die Befreiung Venezuelas

Auch in Vene­zue­la gab es die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Föde­ral­si­ten und Zen­tra­lis­ten, die aller­dings anders als in Neu-Gra­na­da nicht zu einem Bür­ger­krieg zwi­schen den riva­li­sie­ren­den Repu­bli­ka­nern führ­te. Statt­des­sen erho­ben sich die Roya­lis­ten. Am 19. April 1810 wur­de in Cara­cas Vene­zue­la als unab­hän­gi­ge Nati­on aus­ge­ru­fen. Die ers­te Repu­blik war gegrün­det, ihr Füh­rer war Fran­cis­co Miran­da, der zusmmen mit Boli­var aus Eng­land, wo er sich meh­re­re Jah­re im Exil befand, zurück­ge­kehrt war. Die spa­ni­sche Kro­ne hat­te jedoch nach wie vor vie­le Anhän­ger. Am 11. Juli gab es eine Demons­tra­ti­on in Cara­cas und am 13. Juli erho­ben sich die Roya­lis­ten in Valen­cia. Der Auf­stand wur­de von Miran­da nie­der­ge­schla­gen. Boli­var nahm an der Expe­di­ti­on als Adju­dant von Mar­quis de Toro teil.

Erste Republik: Föderative Verfassung

Im Dezem­ber 1811 wur­de vom Kon­gress eine föde­ra­lis­tisch gepräg­te Ver­fas­sung ver­ab­schie­det. Die “Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Vene­zue­la” set­zen sich aus sie­ben sou­ve­rä­nen Staa­ten (die zuvor unter der spa­ni­schen Kro­ne Ver­wal­tungs­ein­hei­ten waren) zusam­men, von denen jeder das Recht besaß, sei­ne eige­ne Ver­fas­sung zu ver­ab­schie­den (G. Masur, S. 142).

Nach einem Jahr gab es eine Wirt­schafts­kri­se. Dann gab es am 26. März 1812 ein Erd­be­ben, das die Haupt­stadt Cara­cas in Schutt und Asche leg­te. Die katho­li­sche Kir­che erklär­te dies als “Stra­fe Got­tes für die Rebel­li­on gegen die spa­ni­sche gott­ge­ge­be­ne Ord­nung”. Da die wirt­schaft­li­chen und sozia­len Pro­ble­me zunah­men wand­ten sich vie­le Ein­woh­ner wie­der der alten Ord­nung zu. In Mara­cai­bo, das noch königs­treu war, wur­de ein spa­ni­sches Expe­di­ti­ons­heer unter Dom­in­go Mon­te­ver­de auf­ge­stellt, dass nun gegen die jun­ge Repu­blik mar­schier­te und dem die Repu­bli­ka­ner nicht gewach­sen waren. Nach vie­len Kämp­fen kapi­tu­lier­te Miran­da und Mon­te­ver­de zog in die Haupts­adt ein. Die füh­ren­den repu­bli­ka­ni­schen Poli­ti­ker wur­den ver­haf­tet und nach Spa­ni­en gebracht. Boli­var war nicht unter ihnen, da ein Spa­ni­er, Fran­cis­co Itur­be, für ihn ein­trat. Er erhielt sogra einen Pass zur Aus­rei­se aus Vene­zue­la, mit dem er sich zunächst nach Cura­cao und anschlie­ßend nach Car­ta­ge­na ein­schiff­te. Das war im August 1812.

Die Spa­ni­er ver­such­ten nun auch in Neu­gra­na­da die Uhr zurück­zu­stel­len. Über San­ta Mar­ta, das mehr­heit­lich königs­treu geblie­ben war, mar­schier­te sie in Rich­tung Car­ta­ge­na ud Mag­da­le­na. In Car­ta­ge­na ein­ge­trof­fen half Boli­var, den Wider­stand zu orga­ni­sie­ren. Dort ver­fass­te er auch sein berühmt gewor­de­nes “Mani­fest von Cartagena”.

Pla­za Boli­var in Cartagena

Nach sei­ner Nie­der­la­ge in Vene­zue­la und dem Fall der ers­ten vene­zo­la­ni­schen Repu­blik war Boli­var über Cura­cao nach Car­ta­ge­na geflüch­tet und stell­te sich dort in den Dienst der Trup­pen der Ver­ei­nig­ten Pro­vin­zen Neu­gra­na­das. Zunächst wur­de er dem Gene­ral Pierre Laba­tut, einem Fran­zo­sen, der bereits im Heer der vene­zo­la­ni­schen Repu­blik gegen die Spa­ni­er gekämpft hat­te, in Car­ta­ge­na unter­stellt. Er drang mit einer klei­nen Trup­pe, sei­nen ursprüng­li­chen Auf­trag zur blo­ßen Ver­tei­di­gung von Bar­ran­cas igno­rie­rend, eigen­mäch­tig zum Mag­da­le­na vor und befrei­te den Fluß von den Spa­ni­ern. Anschlie­ßend wand­te er sich Rich­tung Cucu­ta in der Hoff­nung, von dort aus Vene­zue­la zurück­er­obern zu kön­nen. Dem Ober­kom­man­die­ren­den der Ver­ei­nig­ten Pro­vin­zen in die­sem Bereich, Cas­til­lo, ging dies aber zu weit. Boli­var sieg­te, aber sein Zer­würf­nis mit Cas­til­lo war tief und soll­te noch schwer­wie­gen­de Kon­se­quen­zen haben.

Zweite Republik: Acht Monate Militärdikatatur Bolivars

Zunächst aber war Boli­var erfolg­reich und konn­te am 6. August 1813, knapp ein Jahr nach sei­ner Flucht aus Vene­zue­la wie­der in Cara­cas als “Libert­ador” ein­zie­hen, muss­te es aber bereits 8 Mona­te spä­ter, am 6. Juli 1814, vor den anrü­cken­den im Land ver­blie­be­nen spa­ni­schen Trup­pen unter Tomas Boves erneut räu­men. Boves konn­te Boli­va­res Heer ver­nich­tend schla­gen und anschlie­ßend ganz Vene­zue­la für die Spa­ni­er zurück­er­obern. Boli­var blieb erneut nichts ande­res übrig, als sich mit einem Schiff abzu­set­zen. Erneut such­te er Zuflucht in Car­ta­ge­na, wo er am 19. Sep­tem­ber 1814 wie ein Held emp­fan­gen wurde.

Er woll­te sich ähn­lich wie bereits 1812 in den Dienst der Ver­ei­nig­te Pro­vin­zen stel­len. Er reis­te nach Tun­ja, wo er dem Kon­gress die Umstän­de des Zusam­men­bruchs der zwei­ten vene­zo­la­ni­schen Repu­blik dar­leg­te. Er mach­te auf die Gefahr auf­merk­sam, die von den spa­ni­schen Trup­pen aus­ging und for­der­te mehr Ein­heit der neu­gra­na­di­ni­schen Gesell­schaft. Er wur­de dar­auf­hin beauf­tragt, mit einem Expe­di­ti­ons­heer die Haupt­stadt Bogo­tá (und das sich als eige­nen Staat ver­ste­hen­de) Cun­di­na­mar­ca für die ver­ei­nig­ten Pro­vin­zen zu unter­wer­fen. Das gelang auch. Am 12. Dezem­ber 1814 zog er in Bogo­tá ein. Neu­gra­na­da war somit in einer Hin­sicht ver­eint, es war nun eine föde­ra­ti­ve Repu­blik und der seit 1810 schwe­len­de Bür­ger­krieg zwi­schen Föde­ra­lis­ten und Zen­tra­lis­ten war been­det. Cun­di­na­mar­cas Prä­si­dent, Anto­nio Nari­ño, zu die­sem Zeit­punkt noch ein Vor­rei­ter des Zen­tra­lis­mus, war eini­ge Mona­te zuvor, in einer für die kolum­bia­ni­schen Trup­pen zwar sieg­rei­chen Schlacht gegen die Spa­ni­er unter Juan Sama­no, von die­sen gefan­gen genom­men wor­den und (erneut) nach Spa­ni­en ver­schleppt wor­den (Mai 1814).

Aber unge­fähr zur glei­chen Zeit war aber in Vene­zue­la das vom wie­der­ein­ge­setz­ten spa­ni­schen König Fer­nan­do II aus­ge­rüs­te­te spa­ni­sche Expe­di­ti­ons­heer unter Pablo Moril­lo ange­kom­men. Mit 18 Kriegs- und 40 Trans­port­schif­fen und mehr als 10.000 Mann (G. Masur S. 249) lan­de­ten sie und besetz­ten zuerst Vene­zue­la und anschlie­ßend Neu­gra­na­da. Cara­cas wur­de von Moril­los Trup­pen bereits am 11. Mai 1814 ein­ge­nom­men. Die zwei­te vene­zo­la­ni­sche Repu­blik war unter­ge­gan­gen. Damit konn­te Moril­lo sich nun gegen Neu­gra­na­da wenden.

Boli­var war den Spa­ni­ern von Bogo­tá aus ent­ge­gen­ge­zo­gen (24. Janu­ar 1815) und hat­te anfangs auch eini­ge Erfol­ge. So wur­de Mom­pox von den Spa­ni­ern zurück­ge­won­nen. Aber ein ent­schlos­se­nes und rasches Nach­set­zen auf die sich zurück­zie­hen­den spa­ni­schen Trup­pen schei­ter­te an inter­nen Strei­tigk­lei­ten zwi­schen Boli­var und dem Gene­ral Cas­til­lo, der in Car­ta­ge­na das Kom­man­do fürhte und Boli­var jede Auto­ri­tät für eine gemein­sa­me Stra­te­gie gegen die Spa­ni­er absprach. Boli­var mach­te nun den Feh­ler, sei­ne Posi­ti­on mit Gewalt durch­set­zen zu wol­len und bela­ger­te Car­ta­ge­na. Als dies erfolg­los blieb, und statt­des­sen die spa­ni­schen Trup­pen, die in Vene­zue­la gelan­det waren, erst Bar­ran­quil­la erober­ten und auf Car­ta­ge­na zumar­schier­ten, sah er die Sinn­lo­sig­keit die­ser Bela­ge­rung, gab er den Ober­be­fehl ab (7. Mai 1815) und segel­te frus­triert auf einem eng­li­schen Kriegs­schiff (von Car­ta­ge­na aus???) nach Jamai­ka.

Hier ver­fass­te er sei­nen berühm­ten Brief aus Jamai­ca, in dem er sei­ne Visi­on über ein künf­ti­ges Süd­ame­ri­ka dar­leg­te. Im Dezem­ber erhielt er aus dem von Moril­los Trup­pen bela­ger­ten Car­ta­ge­na einen Hil­fe­ruf und das Ange­bot den Ober­be­fehl über die Ver­tei­di­gung zu über­neh­men. Er zöger­te nicht, schiff­te sich am 18. Dezem­ber ein, um dann aber die Nach­rift zu erhal­ten dass die Stadt bereits am 6. Dezem­ber 1815 gefal­len war. Es war also zu spät. Boli­var ließ den Kurs wech­seln und segel­te nach Hai­ti.

Ein hal­bes Jahr spä­ter nach der Ein­nah­me Car­ta­genas zogen die Spa­nie auch sieg­reich in Bogo­tá ein (am 6. Mai 1816). Damit war nun auch die ers­te kolum­bia­ni­sche Repu­blik, die Repu­blik der “Estados Uni­dos de Nuve­gra­na­da, unter­ge­gan­gen Die kolum­bia­ni­schen Trup­pen konn­ten dem spa­ni­schen Vor­marsch nichts ent­ge­gen­set­zen. Das kolum­bia­ni­sche Heer wur­de voll­kom­men auf­ge­rie­ben. Tun­ja wur­de besetzt eben­so wie Bogo­tá. Camil­lo Tor­res wur­de von den Spa­ni­ern erschos­sen. San­tan­der, Urda­ne­ta, Mari­ño, Piar und Ber­mu­dez konn­ten sich aber ret­ten und began­nen einen Gue­ril­la­krieg gegen die Spa­ni­er zu organisieren.(G. Masur, S. 250).

Dritte Republik: Zentralstaat mit 8 Provinzen und zwei Kammern

Hai­ti war neben den USA das ein­zi­ge freie Land in Ame­ri­ka. Boli­var wur­de von Prä­si­dent Alex­an­der Peti­on (ein ehe­ma­li­ger Skla­ve) herz­lich auf­ge­nom­men und in all sei­nen Plä­nen sehr unter­stützt. Über das Ver­hält­nis der bei­den schreibt G. Masur S. 272 ff. Bemer­kens­wer­tes: Peti­on knüpf­te sei­ne Unter­stüt­zung Boli­va­res  an eine Bedin­gung: Die Befrei­ung der Skla­ven! Boli­var ging dar­auf ein, was — wie sich spä­ter her­aus­stell­te — einen wich­ti­gen Umbruch in sei­ner Visi­on und Staats­theo­rie dar­stel­len soll­te. Nach Hai­ti hat­ten sich auch eini­ge vene­zo­la­ni­sche und neu­gra­na­di­ni­sche Offi­zie­re geflüch­tet. Mit die­sen plan­te Boli­var nun eine erneu­te Lan­dung in Vene­zue­la. Das klei­ne Expe­di­ti­ons­heer von 250 Mann erhielt Waf­fen von Peti­on und auch eine klei­ne Folt­te von sechs Scho­nern, mit dem man am 31. März 1816 (also noch vor dem Fall Bogo­tás) auf­brach. Die Lan­dung war zunächst ein Fias­ko. (Genau­es kann man bei G. Masur S. 272 ff. nach­le­sen). Ein zwei­ter Anlauf kalpp­te aller­dings, weil Boli­var sich auf den Osten Vene­zue­las kon­zen­trier­te, auf das Urwald­ge­biet Gua­ya­nas. Von dort aus konn­te er zunächst den Fluss­lauf des Orino­cos befrei­en und nach­dem er sich mit Paez ver­bür­dern konn­ten die Repu­bli­ka­ner — nach sehr wech­seln­dem Kriegs­glück — den gesam­ten Osten Ven­zue­las, d.h. das Gebiet Gua­ya­na, befreien.

Die inne­ren Strei­tig­kei­ten der mili­tä­ri­schen Füh­rer des repu­bli­ka­ni­schen Hee­res waren mit ein Grund für Boli­var, mög­lichst rasch geord­ne­te und qua­si-staat­li­che Struk­tu­ren in dem eror­ber­ten Gebiet zu eta­blie­ren. Nach­dem das Hin­ter­land des Orino­kos eror­bert war und mit ihm die bei­den wich­tigs­ten Städ­te Angos­tu­ra und Ciu­dad Gua­ya­na, wur­de am 1. Novem­ber 1817 die drit­te Repu­blik gegrün­det, die vor­serst noch auf das Gebiet öst­lich des Orino­kos beschränkt war und — da Cara­cas noch in fes­ter Hand der Spa­ni­er und damit uner­reich­bar war — mit Angos­tu­ra als pro­vi­so­ri­schen Haupt­stad (heu­te Ciu­dad Boli­var) (Masur S. 312 f). Beim Auf­bau die­ses neu­en Staats­we­sen zeig­te sich, dass Boli­var aus den Zusam­men­brü­chen der ers­ten bei­den Repu­bli­ken, die ja nicht allein den mili­tä­ri­schen Schlä­gen, son­dern auch inter­nen Strei­tig­kei­ten geschul­det waren, gelernt hat­te. Hier ent­wi­ckel­te er nun sei­ne Auf­fas­sung vom Staat, die man m.E. durch­aus als Boli­vars Staats­theo­rie bezeich­nen kann (Genaue­res bei Masur S. 333 ff.) und die beim ers­ten par­la­men­ta­ri­schen Kon­gress in Angos­tu­ra am 15. Febru­ar 1819 vorstellte.

Am 16. Febru­ar wur­de Boli­var zum ers­ten Staats­prä­si­den­ten der neu­en Repu­blik gewählt und, da die Repu­blik sich im Krie­ge befand, mit außer­or­dent­li­chen Voll­mach­ten aus­ge­stat­tet. Er war nun die unan­ge­zwei­fel­te Füh­rer­ge­stalt im Befreiungskrieg.

Anstatt, wie von Moril­lo erwar­tet, sich nun nach Nor­den zu wen­den, um Cara­cas zu befrei­en, über­quer­te Boli­var mit einer Armee von ca. 2000 Mann die Anden, um sich im neu­gra­na­di­ni­schen Casa­na­re mt den dor­ti­gen Gue­ril­la­trup­pen von San­tan­der zu ver­ei­nen. So wur­de der Befrei­ungs­krieg zunächst in Neu­gra­na­da wei­ter­ge­führt (s. Befrei­ung Neu­gra­na­das).

Eine Antwort schreiben