Historischer Exkurs: Die Befreiung Neugranadas
Den Unabhängigkeitskampf und die darauffolgende Epoche der verschiedenen kolumbianischen Republiken, in der mal eine föderalistische und mal eine zentralistische Staatsform dominierte lässt sich spiegelstrichmäßig wie folgt darstellen:
- 1810 — Republica de Cundinamarca (zentralistisch unter Antonio Nariño, Sitz Bogotá) existiert neben und der Republik der Provincias Unidas (föderativ unter Camillo Torres, Sitz Tunja). Beide bestanden aber nur bis Reconquista der Spanier im Jahre 1816)
- 1819 — Republica de Colombia (“Gran Colombia”) nach dem Beschluss von Angostura 1819 mit einer auf Bolivar zugeschnittenen zentralistischen Staatsform
- 1830 — Republica de la Nueva Granada (1853 liberale Verfassungsreform nach dem Brügerkrieg 1851. Erneuter Bürgerkrieg 1854 )
- 1858 — Confederación Granadina (föderative Struktur mit 8 Einzelstaaten und einem Zentralparlamen, 1860 — 1863 Bürgerkrieg)
- 1863 — Estados Unidos de Colombia (Radikal-liberale und laizistische Verafssung v. 8. Mai 1863 (Rio Negro, Mosquera), neun weitgehend unabhängige Einzelstaaten, aber erneute Bürgerkriege 1876–1877 und 1885 als die Liberalen sich gegen Präsident Rafael Nuñez erhoben.)
- 1886 — Republica de Colombia (Nuñez siegte, gründete die Partido Nacional und führte eine zentralistische und konservativ geprägte Verfassung ein)
Deklaration der Unabhängigkeit
Nach der Gefangennahme und Absetzung des spanischen Königs Fernando VII durch Napoleon setzte dieser “seinen Bruder Joseph zum neuen König von Spanien ein. Die Macht der von König Josef geführten Regierung und Verwaltung reichte aber nicht über ganz Spanien. Andererseits wurden die Anordnungen des Rey Intruso (unerwünschten Königs) von Teilen der spanischen Verwaltung ignoriert. Daraufhin bildeten sich in ganz Spanien, besonders aber in den nicht von französischen Truppen beherrschten Gebieten Juntas Provinciales, die eine örtliche Verwaltung an den von König Josef getroffenen Anordnungen vorbei organisierten. Diese Juntas bildeten sich teilweise aus vorhandenen Institutionen wie z. B. Stadträten und Regionalversammlungen. Um auch überregionale Angelegenheiten, besonders die Aufstellung und Ausrüstung einer Befreiungsarmee oder den Kontakt mit dem Ausland, regeln zu können, war es nötig, eine Dachorganisation dieser Juntas zu bilden. Vertreter der Juntas Proviciales bildeten im September 1808 eine Junta Suprema Central y Gubernativa del Reino.” (Wikipedia: Junta Suprema Central).
“Die Gründung der Junta Suprema Central y Gubernativa del Reino wurde nicht als ein revolutionärer Akt gesehen, bei dem die Regierung des Königs oder gar der König Ferdinand VII. selber durch Vertreter der Bevölkerung ersetzt wurden. Diese Junta gab alle ihre öffentlichen Erklärungen im Namen des Königs Ferdinand VII. ab. Die Einsetzung der Junta fand am 25. September 1808 in einem feierlichen Akt in der Schlosskirche in Aranjuez statt, bei dem die Mitglieder auf König Ferdinand vereidigt wurden. Die Junta verlegte im November 1808 ihren Sitz erst in die Extremadura, dann nach Sevilla und endlich auf die Isla de León bei Cádiz.” (Wikipedia: Junta Suprema Central).
Um sicherzustellen, dass die spanischen Kolonien der spanischen Krone treu blieben und nicht ins napoleonische Lager überliefen rief die Junta Suprema in Sevilla dazu auf, auch in den Kolonien derartige Juntas zu gründen. Es wurden königstreue Abgesandte in die Kolonien geschickt, die dort den Vorsitz der Juntas übernehmen sollten. Nach Bogotá wurde Juan José Llorente geschickt, um die Gründung einer Junta unter dem Vorsitz des Vizekönigs zu organisieren. Dies wird aber von Bogotanern nicht anerkannt. Stattdessen wird José Miguel Pey zum Vorsitzenden gewählt, der Vizekönig für abgesetzt erklärt, zusammen mit seinen führenden genrälen (unter ihnen der wegen seiner Grausamkeit gegen Aufständische bekannte Juan de Samano, der später noch eine wichtige Rolle im Unabhängigkeiskrieg spielen sollte, nach Spanien zurückgeschickt. Das war am 20. Juli 1810. Dieses Datum wird heute in Kolumbien als Tag der Unabhängikeit gefeiert, obwohl es bis zur Unabhängigekti noch ein weiter Weg und zehn Jahre Krieg war.
Die Kreolen (in Kolumbien geborene Nachfahren der Spanier. Im Gegensatz dazu: Mestizen sind die aus gemischten Ehen hervorgegangenen Einwohner. Im Grunde sind aber — heutzutage — nahezu alle Lateinamerikaner Mestizen, wie genetischen Forschungen in letzter Zeit gezeigt haben) nutzten die Aufforderungen zur Gründung von lokalen Juntas nicht wie von den Spaniern gewünscht, um die Treue zum Königshaus zu manifestieren, sondern die in den letzten Jahren immer wieder diskutierte Frage nach einer Unabhängikeit, durchzusetzen. Es wurde eine Reihe von Juntas gegründet, die allerdings keinesweg eine einheitliche Position zu dieser Frage bezogen.
Die Rebellion begann im Grunde aber schon im Jahr 1808, als der Aufruf zur Bildung von Juntas de Gobierno aus Sevilla erfolgte. Zunächst war es nur zaghafter Zweifel und vorsichtiger Widerstand. Das Jahr 1810 stand aber ganz im Zeichen einer offenen Weigerung der Kreolen den Anordnungen der Spanier Folge zu leisten. Es ging jetzt Schlag auf Schlag: Am 3. Juli bildete sich eine Junta in Cali, einen Tag später in Pamplona, am 10. Juli in Socorro, am 20. Juli in Santafé (Bogotá), am 25. in Tunja und am 26. in Mariquita. Am 4. August folgten Neiva, am 6. Mompos, am 10. Santa Marta, am 11. Popayan, am 13. Cartagena und am 31. August Quibdo. Am 1. September folgte Medellin, am 7. Ibague (Quelle: Germán Rodrigo Mejía Pavony: La Patria Boba? Semana v. 18.7.2009).
Nun gabe es aber enorme Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Juntas in Bezug auf die anzustrebende Regierungsform. Einige wollten sich an die Anweisungen aus Sevilla halten und strebten eine konstitutionelle Monarchie an, die ja auch in Spanien angestrebt wurde, nach der Niederlage Napoleons aber wieder rückgängig gemacht wurde.
Santafé (Bogotá) spielte während der Kolonilazeit wegen seiner Rolle als Sitz des Vizekönigs zwar eine dominierende Rolle in Neugranada, aber es war keineswegs das ökonomische, politische und geistige Zentrum, so wie es heute der Fall ist. Andere Städte, v.a. Cartagena standen der Bedeutung Santafés nicht nach. Insofern war es keineswegs selbstverständlich, dass die verschiedenen Juntas de Gobierno sich der Junta in Bogotá unterordnen würden. Traditionell beanspruchte Bogotá aber die Führungsrolle, die einige andere Provinzen in Frage stellten und beispielsweise der wichtigste Karibikhafen der Landes, Cartagena de Indias, wäre selbst gern führend tätig gewesen. Die sich über mehr als ein Jahr hinziehenden Meinungsverschiedenheiten führten Anfang 1812 zu einem Umzug des Kongresses des Bundes der Provinzen Neu-Granadas von Bogotá (über Ibagué) nach Tunja.
Die erste Republik: “Cundinamarca” und die “Provincias Unidas de Nueva Granada”
(Quellen: G. Masur 1949; Wikipedia “Erste Republik Kolumbien”, Semana v. 18.7.2009)
Nach der Unabhängigkeitserklärung vom 20. Juli 1810 bildete sich auf dem Terrotorium von Neugranada ein Staat, der im Grunde aus zwei Staaten bestand: Zum einen aus einem zentralistisch aufgebauten Staat auf dem Gebiet von Cundinamarca, wo Antonio Nariño zum Präsidenten ernannt wurde, zum anderen eine Vereinigung unabhängiger Staaten, der früheren Verwaltungseinheiten, die Camillo Torres zu ihrem Sprecher machten. (G. Masur, S. 168 f.) Beide Seiten bekämpften sich nicht nur ideologisch, sondern auch militärisch.
Nach der Ausrufung der Republik wurden Änderungen in der Besteuerung der Haziendas durchgesetzt, die das wirtschaftliche Rückgrat der Kolonialgebiete waren, und die Indiginas von Tributzahlungen befreit und rechtlich gleichgestellt. Die Sklavenbefreiung wurde intensiv diskutiert, aber nur in Antioquia umgesetzt, weil es Provinzen gab, die mehrheitlich aus Indigenen und Sklaven bestanden. Der Handel, der bis dato nur mit dem kolonialen Mutterland erlaubt war, wurde freigegeben und die Verwaltung neu geordnet.
Militärisch war das Land nicht unter Kontrolle einer der beiden Parteien gebracht worden. An der Nordküste war nur Cartagena im Westen in den Händen der Separatisten, die sich ständig Kämpfe mit den Royalisten aus Santa Marta und Riohacha um die Vorherrschaft am unteren Río Magdalena lieferten. Im Nordosten war der Grenzbereich zu Venezuela in der Andenregion immer dann schwer in Bedrängnis, wenn die Separatisten in Venezuela geschlagen waren und die Spanier Feldzüge nach Neu-Granada organisierten. Das größte Problem der Aufständischen war jedoch über Jahre hinweg der Süden des Landes, vor allen das Kirchenzentrum Pasto in der damaligen Provinz Popayán. Auch in den anderen Landesteilen gab es gelegentlich Kämpfe zwischen Königstreuen und Separatisten, deren Bedeutung meist jedoch lokal beschränkt blieb. Wo dies nicht der Fall war, griff der Bundeskongress, soweit er dazu in Lage war, helfend ein.
Der Streit zwischen den beiden Protagonisten, dem Präsidenten der Cundinamarca (um die Hauptstadt Bogotá), Antonio Nariño, und dem Präsidenten des Bundeskongresses, Camilo Torres y Tenorio, verschärfte sich bis zum Bürgerkrieg innerhalb der Patrioten um den Jahreswechsel 1812/1813. Es siegte schließlich der Zentralismus über den Föderalismus. Obwohl sich weiterhin einzelne Gemeinden und Provinzen der zentralistischen Hauptstadt anschließen wollten, schaffte der militärische Sieger Nariño es nicht, die notwendige Landeseinheit herzustellen. Im Gegenteil: der Bundeskongress der Föderalisten baute im Gegenteil seine Machtposition aus, auch indem er sich der Unterstützung von Simón Bolívar versicherte, der gerade für seinen erfolgreichen Magdalena-Feldzug (im Auftrag Cartagenas) zum Brigadegeneral der Neugrenadiner Union ernannt worden war und sich anschickte, Venezuela für seine Zweite Republik zu erobern. Die fortgesetzten Streitigkeiten zwischen den Föderalisten und den Zentralisten sorgten für unnötige Versorgungsschwierigkeiten im Kampf gegen die Spanier.
Reiterdenkmal von Simon Bolivar in Medellin
Interessant ist, dass Nariño zehn Jahre später (nach den Beschlüssen über die Verfassung von Cucutá) genau die gegensätzliche Position vertrat, nämlich für den Föderalismus eintrat (A. Nariño: Los Toros de Fucha). Sein Gegenspieler war nun Francisco Paula Santander (F.P. Santander: El Patriota), der für einen starken Zentralstaat eintrat, den er jedoch zehn Jahre zuvor, als er einer der führenden Offiziere der Ejércitos de las Provincias Unidas war, noch abglehnt hatte. Über die Gründe für diese Gesinnungswechsel muss noch geredet werden.
Die spanische “Reconquista” 1813 bis 1819
In Neugranada waren die Separatisten zunächst noch in den Streit zwischen Föderalismus und Zentralismus involviert, bevor sie sich dem eigentlichen Gegner zuwenden konnten. Ein erster Feldzug der Spanier hatte bereits zu Niederlagen der Patrioten Neu-Granadas geführt. Durch seine Offensive, die von Cúcuta aus begann, hielt sie Bolívar von weiteren Einfällen in die Grenzprovinz Pamplona ab, aber noch im selben Jahr entstand eine königstreue Guerilla, die Francisco de Paula Santander, der die Sicherung der Grenzregion übernommen hatte, derart in Bedrängnis brachte, dass die Provinz dem entscheidenden Feldzug von Sebastian de la Calzada nach dem Untergang der Zweiten Republik in Venezuela zu wenig entgegenzusetzen hatte. Mit Mühe und einigen herben Niederlagen gelang es, die Spanier aufzuhalten, aber die in anderen Landesteilen dringend benötigten Truppen waren hier gebunden.
Zum Jahresende flammten die Kämpfe mit den Spaniern vor allen im Süden der Provinz auf. Pasto war unerschütterlich in seiner Spanientreue und eine Reihe von Expeditionen wurde gestartet, um die Stadt der befreiten Provinz anzugliedern. Einer diesen frühen Feldzüge brachte den kurzzeitigen Besitz der Stadt, aber der Präsident von Popayán selbst gab den Königstreuen selbst die Möglichkeit wieder die alte Herrschaft zu übernehmen. Trotz eines erfolgreichen Befreiungsfeldzuges (Schlacht von Pasto) scheiterte auch im Mai 1814 der aus Bogotá mit einem Heer gekommene Präsident der Cundinamarca, Antonio Nariño. Zwar siegten die neugranadinischen Truppen über die von Juan Samogo angeführten spanischen Truppen aber Nariño geriet dabei in die Hände der Spanier, die ihn bis 1820 auf der iberischen Halbinsel in Festungshaft hielten.
Mit dem Ausfall des führenden Zentralisten Nariño gewannen innerhalb der Republik Neugranada der Bund der Provinzen an Gewicht, aber erst Bolívar, der nach dem Verlust seiner zweiten venezolanischen Republik erneut nach Neu-Granada geflohen war, befriedete die Anhänger Nariños in Bogotá militärisch um den Jahreswechsel 1814/1815. Nach der militärischen Niederlage in Venezuela und dem Untergangd er zweiten venezolanischen Republik war Simon Boliva nach Cartagena geflohen. Dort wollte er sich ähnlich wie bereits 1812 in den Dienst der Vereinigte Provinzen stellen. Er reiste 1814 nach Tunja, wo er dem Kongress die Umstände des Zusammenbruchs der zweiten venezolanischen Republik darlegte. Er machte auf die Gefahr aufmerksam, die von den spanischen Truppen ausging und forderte mehr Einheit der neugranadinischen Gesellschaft. Er wurde daraufhin beauftragt, mit einem Expeditionsheer die Hauptstadt Bogotá (und das sich als eigenen Staat verstehende) Cundinamarca für die vereinigten Provinzen zu unterwerfen. Das gelang auch. Am 12. Dezember 1814 zog er in Bogotá ein. Neugranada war somit in einer Hinsicht vereint, es war nun eine föderative Republik und der seit 1810 schwelende Bürgerkrieg zwischen Föderalisten und Zentralisten war beendet.
Aber ungefähr zur gleichen Zeit (Januar 1815) setzte der nach Napoleons Rückzug aus Spanien wiedereingesetzte König Fernando II eine große spanische Expeditionsflotte unter Pablo Morillo in Marsch, um sich seiner Rechte in den Kolonien zu versichern. Mit 18 Kriegs- und 40 Transportschiffen und mehr als 12.000 Mann (G. Masur S. 249) landete Morillo in Venezuela und besetzte zuerst Venezuela und anschließend Neugranada. Caracas wurde von Morillos Truppen bereits am 11. Mai 1814 eingenommen. Die zweite venezolanische Republik war untergegangen. Damit konnte Morillo sich nun gegen Neugranada wenden.
Im August 1815 erreichte Morillo mit seinem Heer und seiner Flotte Cartagena, unterstützt vom Bezwinger Bolívars in Venezuela, Francisco Tomás Morales. Belagert von Land und See hielt sich die Stadt über drei Monate. Als Morillo nach der größtenteils gescheiterten Massenflucht der Separatisten über das Meer in die Stadt einzog, ohne dass irgendjemand kapituliert hätte, lagen Hunderte verhungert in den Straßen. Der Krieg hatte zwei Drittel der Bevölkerung des vor dem Krieg 16.000 Einwohner beherbergenden Hafens das Leben gekostet. Auch ein Drittel von Morillos zehntausend Belagerern war tot, die meisten allerdings an Krankheiten gestorben.
Dieser teure Sieg war der Auftakt zur Rückeroberung des ganzen Landes. Die aus Venezuela eingedrungenen Royalisten auf der nördlichen Ostkordillere besiegten die Separatisten selbständig und ebneten diesen Teil des Weges für Morillos Rückeroberung. Die letzte Regierung floh angesichts der vorrückenden Spanier nach Süden. Dort war aber breits ein von Quito aus ein spanisches Heer unter Juan Samogo in Marsch gesetzt worden, dass zahlenmäßig und ausrüstungsmäßig den Neugranadiniern überlegen war. Dennoch wagten die Neogranadiner den Angriff auf das fast dreimal so starke Heer der Spanier aus Ecuador und wurde dabei vollkommen aufgerieben. Lediglich einem kleinen Teil der Republikaner gelang die Flucht.
Doch noch vor Morillos Landung in Venezeula war auch im Norden das Territorium von Neugranada durch die Spanier bedroht worden. Nach dem Sieg gegen Bolivar marschierte der spanische General Francisco Morales an der Karibküste über Maracaibo, Riohacha, Santa Marta Richtung Cartagena. Bolivar war den Spaniern von Bogotá aus gegen Norden entgegengezogen (24. Januar 1815) und hatte anfangs auch einige Erfolge. So wurde Mompox von den Spaniern zurückgewonnen. Aber ein entschlossenes und rasches Nachsetzen auf die sich zurückziehenden spanischen Truppen scheiterte an internen Streitigkleiten zwischen Bolivar und dem General Castillo, der in Cartagena das Kommando führte und Bolivar jede Autorität für eine gemeinsame Strategie gegen die Spanier absprach. Bolivar machte nun den Fehler, seine Position mit Gewalt durchsetzen zu wollen und belagerte Cartagena. Als dies erfolglos blieb, und stattdessen die spanischen Truppen, die in Venezuela gelandet waren, erst Barranquilla eroberten und auf Cartagena zumarschierten, sah er die Sinnlosigkeit dieser Belagerung, gab er den Oberbefehl ab (7. Mai 1815) und segelte frustriert auf einem englischen Kriegsschiff (von Cartagena aus???) nach Jamaika. Hier verfasste er seinen berühmten Brief aus Jamaica, in dem er seine Vision über ein künftiges Südamerika darlegte. Im Dezember erhielt er aus dem von Morillos Truppen belagerten Cartagena einen Hilferuf und das Angebot den Oberbefehl über die Verteidigung zu übernehmen. Er zögerte nicht, schiffte sich am 18. Dezember ein, um dann aber die Nachrift zu erhalten dass die Stadt bereits am 6. Dezember 1815 gefallen war. Es war also zu spät. Bolivar ließ den Kurs wechseln und segelte nach Haiti.
Ein halbes Jahr später nach der Einnahme Cartagenas zogen die Spanier auch siegreich in Bogotá ein (am 6. Mai 1816). Damit war nun auch die erste kolumbianische Republik, die Republik der “Estados Unidos de Nuvegranada, untergegangen Die kolumbianischen Truppen konnten dem spanischen Vormarsch nichts entgegensetzen. Das kolumbianische Heer wurde vollkommen aufgerieben. Tunja wurde besetzt ebenso wie Bogotá. Camillo Torres wurde von den Spaniern erschossen. Santander, Urdaneta, Mariño, Piar und Bermudez konnten sich aber retten und begannen einen Guerillakrieg gegen die Spanier zu organisieren.(G. Masur, S. 250).
Morillo, der als “Pacificador”, Friedensbringer, in die Geschichte einging, ließ mit brutaler Härte durchgreifen und verfolgte alle, die in den Verdacht gerieten, separatistisch gewesen zu sein, unnachgiebig. Allein 7.000 vollstreckte Todesurteile verzeichneten die Spanier selbst. Die in den Kämpfen Gefallenen und nach der Niederlage ohne Prozess ermordeten Patrioten übersteigen diese Zahl noch. Enteignungen und Kerkerhaft beziehungsweise Zwangsarbeit standen an der Tagesordnung. Die Frauen der führenden Patrioten wurden nach der Hinrichtung ihrer Männer aus Bogotá in königstreue Gemeinden im ganzen Land umgesiedelt. Bis zum Eroberungsfeldzug von Bolívar, der mit der Schlacht von Boyacá am 7. August die Herrschaft der Kolonialherren in Neu-Granada brach, änderte sich an den Machtverhältnissen nichts.
Die Befreiung 1819 (Boyacá) und 1824 (Ayacucho)
Die Befreiung Neugranadas war das Resultat eines strategischen Schachzuges von Bolivar, das seinesgleichen sucht. Er war 1816 über Haiti nach Venezuela mit einem kleinen Expeditionskorps zurückgekehrt und in einem Guerillakrieg den Osten Venezuelas zurückgewonnen, insbesonderen Guayana und den Orinoko. Dort konnten sie sich im Osten des Orinoko festsetzen und sogar einen eigenen Staat ausrufen, die dritte Republik Venezuela, mit der provisorischen Haupstadt Angostura, solange Caracas noch von den Spaniern gehalten wurde. Doch anstatt wie von Morillo erwartet, von diesem republikanischen territorim den Versuch zu unternehmen, den Norden Venezuelas anzugreifen, marschierte Bolivar mit eine Heer von ca. 2000 Mann über die Anden nach Neugranada.
Hilfe aus Haiti
Haiti war neben den USA das einzige freie Land in Amerika. Bolivar wurde von Präsident Alexander Petion (ein ehemaliger Sklave) herzlich aufgenommen und in all seinen Plänen sehr unterstützt. Über das Verhältnis der beiden schreibt G. Masur S. 272 ff etwas Bemerkenswertes. Petion knüpfte seine Unterstützung Bolivares allerdings an eine Bedingung: Die Befreiung der Sklaven! Bolivar ging darauf ein, was — wie sich später herausstellte — einen wichtigen Umbruch in seiner Vision und Staatstheorie darstellen sollte. Nach Haiti hatten sich auch einige venezolanische und neugranadinische Offiziere geflüchtet. Mit diesen plante Bolivar nun eine erneute Landung in Venezuela. Das kleine Expeditionsheer von 250 Mann erhielt Waffen von Petion und auch eine kleine Foltte von sechs Schonern, mit dem man am 31. März 1816 (also noch vor dem Fall Bogotás) aufbrach. Die Landung war zunächst ein Fiasko. (Genaues kann man bei G. Masur S. 272 ff. nachlesen). Ein zweiter Anlauf kalppte allerdings, weil Bolivar sich auf den Osten Venezuelas konzentrierte, auf das Urwaldgebiet Guayanas. Von dort aus konnte er zunächst den Flusslauf des Orinocos befreien und nachdem er sich mit Paez verbürdern konnten die Republikaner — nach sehr wechselndem Kriegsglück — den gesamten Osten Venzuelas, d.h. das Gebiet Guayana, befreien.
Die Befreiung des Orinoko
Die inneren Streitigkeiten der militärischen Führer des republikanischen Heeres waren mit ein Grund für Bolivar, möglichst rasch geordnete und quasi-staatliche Strukturen in dem erorberten Gebiet zu etablieren. Nachdem das Hinterland des Orinokos erorbert war und mit ihm die beiden wichtigsten Städte Angostura und Ciudad Guayana, wurde am 1. November 1817 die dritte Republik gegründet, die vorserst noch auf das Gebiet östlich des Orinokos beschränkt war und — da Caracas noch in fester Hand der Spanier und damit unerreichbar war — mit Angostura als provisorischen Hauptstad (heute Ciudad Bolivar) (Masur S. 312 f). Beim Aufbau dieses neuen Staatswesen zeigte sich, dass Bolivar aus den Zusammenbrüchen der ersten beiden Republiken, die ja nicht allein den militärischen Schlägen, sondern auch internen Streitigkeiten geschuldet waren, gelernt hatte. Hier entwickelte er nun seine Auffassung vom Staat, die man m.E. durchaus als Bolivars Staatstheorie bezeichnen kann (Genaueres bei Masur S. 333 ff.) und die beim ersten parlamentarischen Kongress in Angostura am 15. Februar 1819 vorstellte.
Am 16. Februar wurde Bolivar zum ersten Staatspräsidenten der neuen Republik gewählt und, da die Republik sich im Kriege befand, mit außerordentlichen Vollmachten ausgestattet. Er war nun die unangezweifelte Führergestalt im Befreiungskrieg.
Die Überquerung der Anden
Da sein Traum, Caracas und den Norden Venezuelas zurückzuerobern nicht gelang, weil die Kräfteverhältnisse einfach nicht entsprechend waren, entschloss er sich zu einem beispielslosen Coup. Anstatt dort anzugreifen, wo Morillo es erwartete, marschierte er mit einer Gruppe von ca. 2000 Mann über die Anden nach Neugranada. Dort hatten sich in dem Grenzgebiet der Llanos zu Venezuela, in Casanare, die neugranadinischen Republikaner unter Santander festgesetzt. Für die Spanier war es sehr schwierig, hier einzugreifen, weil es ein sumpfiges und je nach Jahreszeit zwischen Trockenzeit, Überschwemmung und Sumpfgelände wechselte. Bolivar wollte sich dort mit den Truppen Santanders vereinen und die Spanier dann in Boyaca überraschen.
Die Spanier hatten eine Division im Osten Venezuelas, zwei an den Passagen, die in das Hochland von Caracas führten und eine auf den Mérida-Anden, an der Westgrenze Venezuelas. In Neugranada, das ziemlich brutal unterworfen worden war, sollte eine einzige Division zur Verteidigung ausreichen. Oberfehlshaber dieser Division war der noch junge Artillerieobersten José María Barreiro. Die Spanier hatten sich in Neugranada auf zwei strategisch wichtige Punkte konzentriert: Bogotá und Cartagena. In Bogotá befand sich Samago, der neue Vizekönig, und Cartagena war für Neugranada und für das ganze spanische Kolonialreich “das Tor zur Welt”.
Bolívar ließ seinen Stellvertreter in der Provinz Apure, José Antonio Páez, ab der Jahreswende 1818/19 einen Ablenkungsfeldzug gegen Pablo Morillo führen, der ihn glauben machen sollte, dass Bolívar auf Venezuela fixiert bliebe. Als die Feldzugsaison wegen der Regenzeit zu Ende ging (nasses Schießpulver erfordert zu viel Nahkampf), stieß Bolívar mit über zweitausend Mann unter äußerst schwierigen Bedingungen, da die Flüsse über die Ufer getreten waren, von den Spaniern zu spät bemerkt, nach Casanare, um sich dort mit den von Santander aufgestellten Truppen zu vereinigen. Páez hielt inzwischen die Westfront Venezuelas gegen Morillo und führte einen unzureichend kurzen Ablenkungsfeldzug am Fuß der Mérida-Anden, während verschiedene Offiziere die Spanier im Osten Venezuelas beschäftigten, wie Bolívar es geplant hatte. In Tame, einem Ort in Casanare an der Ostseite der östlichen Kordillere, trafen Santander und Bolivar aufeinander.
(Die folgenden Absätze sind entnommen aus: Stefan Becks Lateinamerikaseiten)
Es gab zwei größere Kolonialstraßen, auf denen das Heer einigermaßen bequem auf die Ostkordillere gelangen konnte, aber Verluste bei den zu erwarteten Kämpfen mit den Spaniern, die die Straßen bewachten, einbringen würde. Der Weg dazwischen, über den fast viertausend Meter hohen Paramo (span.: Hochebene) de Pisba, würde Verluste in Form von Erschöpfung und vor allem Erfrieren bringen, aber auf diese Weise konnten sich die Patrioten länger unentdeckt halten. Aus diesem Grund zog Bolivar diesen Weg vor. Er hatte dies bereits bei der Vorbereitung gewußt, aber hatte keine Zeit mehr, um seinen Soldaten wenigstens warme Kleidung zu beschaffen, von der eigentlich nötigen Hochgebirgsausrüstung ganz zu schweigen.
Am 22. begann das multinationale Befreiungsheer von Pore aus, wo die Truppen Santanders warteten, den Aufstieg auf die Ostkordillere. Die aus Venezuela gekommenen Truppen hatten vorher schon 600 Kilometer in einem Monat zurückgelegt. Im Tal des Rio Paypa begannen die Patrioten ihren Marsch ins Gebirge. Im 900 Meter hoch gelegenen Ort Paya traf Santanders Vorhut auf einen spanischen Außenposten, wo er die Spanier mit seiner numerischen Übermacht in die Flucht schlug. Nun wussten die Spanier von der Anwesenheit des Befreieungsheeres in Neugranada. Nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatten, setzten sie sich in Bewegung, um ihn beim Abstieg aus den Anden, empfangen zu können.
Monumentaldenkmal am Pantano de Vargas
Von Paypa aus waren es nur vier Tagesetappen bis ins Tal des Rio Sogamoso, der heute Chicamocha heißt, nach Socha. Wegen der Strapazen, die einem Drittel der Soldaten Bolivars das Leben kosteten, und weil die Disziplin zusammenbrach, kamen die letzten Versprengten erst Mitte Juli auf der Westseite de Paramo de Pisba an. Die unglaublichen Strapazen des Aufstiegs über den Pass des Pisba, verbunden mit völlig unzureichender Bekleidung, sorgten dafür, dass Bolívar etwa ein Drittel seiner Männer, um die tausend Soldaten, an Erschöpfung und Kälte starben (vgl. die eindrucksvolle Schilderung von Masur S. 349 ff). Bolivar war seinen Leuten vorausgeritten und richtete Ende Juni einen Aufruf an die Neugrenadiner, in dem er bat, ihn zu unterstützen. Neben den vielen Freiwilligen, die sich dem Heer anschlossen, aber seine Verluste nicht ausgleichen konnten, trugen viele örtliche Guerillatruppen, die die Spanier beschäftigten und deren Truppen banden, entscheidend zum Erfolg des Feldzugs bei.
Santanders Vorhut erreichte am 05. Juli Socha, wo sie auf den Rest des Heeres wartete. Am 09. wußte Barreiro, der lange im Dunkeln getappt war, wann und wo die Patrioten auftauchen würden endgültig Bescheid und entsandte zwei jeweils 800 Mann umfassende Kontingente von seinem Hauptquartier in Sogamoso Richtung Norden in die Orte Corrales und Gameza, etwa 30 Kilometer südwestlich von Socha auf beiden Seiten des Flusses. Bolivar hatte ihnen Truppen am 10. entgegengeschickt, die in Corrales erfolgreich waren, aber in Gameza zurückgeschlagen wurden.
Der Übergang dauerte für das ganze Heer gut zwei Wochen, bis Mitte Juli, aber die Spanier ließen Bolívar nicht die Zeit, sein Heer ausruhen und umorganisieren zu lassen. Obwohl sein Heer noch nicht vollständig einsatzbereit war, führte Bolivar selbst 1000, vielleicht 1200 Soldaten nach Gameza, wenngleich das Warten auf den Rest seines Heeres nachvollziehbarer gewesen wäre. Bei Paya Socha, nördlich von Sogamoso, am damals gleichnamigen Fluss Sogamoso (heute: Chicamocha), gab es am 5. Juli erste Scharmützel, bei denen Bolivar nur einen Teil seiner Truppe einsetzen konnte, weil der größte Teil seines Heeres immer noch mit dem Abstieg aus den Bergen beschäftigt war. Ein vorgeschobenes Bataillon des Numancia-Regiments konnte den Vormarsch zwei Stunden lang verzögern, bis die Patrioten an die Brücke über den Gameza-Bach gelangten, wo die Spanier ihre Hauptverteidigung aufgebaut hatten. Barreiro suchte derweil nicht, die Initiative an sich zu ziehen, sondern begnügte sich mit Truppenbewegungen, die seine Soldaten immer in die günstigere Position brachten, bevor Bolivar eintraf. Außerdem wartete er auf Verstärkung aus Bogotá. Er hatte sein Hauptquartier nach Paipa verlegt, in dessen Nähe sich ein Sumpf, der Pantano de Vargas, befindet. Bolivar hatte sich bei seinen Umgehungen inzwischen vergallopiert und konnte nicht mehr zurück, ohne den Spaniern ein leichtes Zeil zu bieten. Mit dem Sumpf im Rücken und den Gegnern auf den umliegenden Höhenzügen, hatte er am 25. Juli keine andere Wahl mehr, als bergauf anzugreifen.
Am Pantano de Vargas stießen beide Heere erstmals direkt aufeinander, bei denen aber niemand als Sieger hervorging. Dann begann Bolívar das Manöver, das dem Feldzug letztlich legendär machte. Er täuschte am Nachmittag des 4. August einen Rückzug nach Osten vor, ließ nach Einbruch der Dunkelheit kehrtmachen, zuerst zurück nach Westen und dann nach Süden, östlich des Rio Chicamocha, auf Tunja zu, marschieren. Bis Barreiro am nächsten Tag begriffen hatte, dass Bolívar ihn getäuscht hatte, stand dieser bereits vor der Provinzhauptstadt, die er am morgen des 5. August problemlos mit der Kavallerie einnahm.
Die Schlacht von Boyaca 1819
Die Spanier fanden die Patrioten am folgenden Tag nicht mehr dort, wo sie sie vermuteten, aber beim Nachschubfassen, erfuhr der völlig überraschte Stabschef von Barreiro, daß Bolivar Tunja eingenommen hatte. Barreiro hatte nicht nur die Provinzhauptstadt Tunja eingebüßt, sondern, was noch schlimmer war, die Verbindung zu Vizekönig Sámano war unterbrochen. Nun, als es zu spät war, zeigte er Initiative und hetzte seine Soldaten auf der Westseite des Chicamocha (damals hieß der Fluss Sogamoso) auf Tunja zu. Nun hatte Bolívar die Wahl des Gefechtsortes, da er genau wusste, wie wichtig die Verbindung nach Bogotá war. Bareiro erreichte Tunja am 6., ließ es aber nicht einnehmen und versuchte stattdessen, nach Süden, hinter die Separatisten zu gelangen. Ein in ost-westlicher Richtung fließender Fluss, der Rio Teatrinos, machte wegen der Regenzeit die Benutzung einer Brücke unumgänglich. Hier verlief auch eine Hauptstraße, die ein schnelleres Marschieren gestattete.
Bolivar hatte nur eine kleine Garnison in Tunja gelassen und war noch in der Nacht Richtung Süden aufgebrochen. Barreiro folgte zwar noch vor Tagesanbruch, aber nun hatte der Befreier die Platzwahl, während die Spanier von den Eilmärschen erschöpft waren. An der Brücke von Boyaca erwartete er, versteckt hinter einen Hügel die in Kolonne marschierenden Spanier, während seine Vorhut auf der Südseite der Brücke in Stellung ging. Das war der Ort, an dem Bolívar seine Soldaten versteckte und auf die Spanier wartete. Während die Vorhut von Santander an der Brücke Stellung bezog, blieb die Hauptdivision Anzoáteguis hinter den Hügeln am Wegrand, mit Bolívar, der sich die Führung der Reserve vorbehielt.
Als die Spanier am 7. August gegen 14 Uhr eintrafen, sahen sie lediglich einige Reiter, denen sie jedoch keine weitere Beachtung schenkten, da sie so schnell wie möglich über die Brücke wollten. Durch den schnellen Marsch befand sich die Vorhut Barreiros etwa einen Kilometer vor der spanischen Hauptmacht, was die Aufgabe für die Patrioten erheblich erleichterte. Santanders Vorhut bei der Brücke eröffnete das Gefecht, aber die Spanier glaubten immer noch nicht, dass es hier zur entscheidenden Schlacht kommen werde. Als Anzoáteguis Division aus den Verstecken auftauchte, war es zu spät, um in Formation zu gehen, um der Attacke angemessen zu begegnen. Ein reichlich verärgerter Richter des nun ehemaligen königlichen Gerichtshofs in Bogotá schrieb seinem König Ferdinand VII. am 19. Oktober: „Er ermüdete Eure Königliche Division, damit sie ihn einholen konnte, [und] als sie dies geschafft hatte, erwartete sie der Feind an einem zerklüfteten Ort, wo sie weder aufmarschieren, noch die Kavallerie operieren lassen konnte, er nahm eine vorteilhafte Position auf den Höhen ein, die das Gelände beherrschten, und möglicherweise ging sie furchtsam in die Verteidigung des Punktes, zerstreute sich in ihrer Verwirrung, und, in weniger, Herr, als zwanzig Minuten, löste sie sich auf, Generalkommandant Barreiro und sein Stellvertreter Jiménez gerieten in Gefangenschaft, ohne, dass es ein Massensterben gegeben hätte, man kann sagen, es gab keine Schlacht.“ (Zitat aus García Vallecillos)
Die Verfolgung mitgerechnet, geben die Republikaner für die Schlacht zwei Stunden an. Der Sieg wurde sicher nicht mit einer Kühnheit errungen, wie sie zum Beispiel José Antonio Páez bei dem denkwürdigen Treffen an den Queseras del Medio (Mittlere Käsereien) bei der Ablenkungskampagne am Jahresanfang gezeigt hatte. Es war vielmehr ein Sieg der haushoch überlegenen strategischen Fähigkeiten des Simón José Antonio de la Santissima Trinidad Bolívar y Palacios, die zur damaligen Zeit in Südamerika einzigartig war. Mit einer einzigen Bewegung, einem nächtlichen Eilmarsch, hatte er die Heimatverteidigung Neugranadas düpiert und seine anfängliche Unterlegenheit in eine unwiderstehliche Superiorität verwandelt. Selbst, wenn die Spanier in diesem Moment ausschließlich hochmotivierte Elite-Soldaten hätten aufbieten können, wäre den Freiheitskämpfern der Sieg nicht zu nehmen gewesen. Da aber bis auf die Offiziere fast ausschließlich Südamerikaner in den Reihen der Kolonialarmee standen, konnten die Republikaner die dritte Division zerschlagen. Sie machten 1600 Gefangene, die zusammen mit den etwa 200 Toten und Verwundeten zwar nicht die ganze Streitmacht umfassten, aber den Flüchtigen, die sich nicht später ergaben oder überliefen setzten die nun moralisch und personell gestärkten örtlichen Patrioten unerbittlich nach.
Pablo Morillo hatte seit 1817 für diese mehrheitlich aus Südamerikanern bestehende Division vergeblich Verstärkungen aus Spanien angefordert, da er an ihrer Loyalität zweifelte. Daher kapitulierte Barreiro recht schnell, aber durch die geschickte Platzwahl Bolivars hätten auch spanische Elitetruppen das Ende nur verzögern, aber nicht abwenden können. Deswegen waren die Verluste an Toten und Verwundeten an diesem Tag relativ gering. Beide Heere umfaßten etwa 3000 Mann, wobei die Spanier 200 Soldaten verloren und die Patrioten zirka ein Drittel davon. Aber rund 1600 Soldaten gingen in Gefangenschaft. Von den verbleibenden 1200 Royalisten, desertierten zwar viele, aber einige Einheiten blieben fast komplett intakt und verstärkten die lokalen Garnisonen, die sich der Rückeroberung des gesamten Landes widersetzten.
In den frühen Morgenstunden des 09. August wurde Vizekönig Samano die Nachricht der verheerenden Niederlage überbracht, und er berief sein Kabinett ein, um es aufzulösen, sowie seine Flucht vorzubereiten. Als Indianer verkleidet, stahl er sich im Morgengrauen aus Bogota, um in Honda ein Schiff zu nehmen, das ihn nach Cartagena brachte. Von Panama aus versuchte er weiter zu regieren, aber seine eigenen Leute erkannten ihn nicht mehr an, obwohl er sich für seine letzten Lebensmonate Anfang 1821 noch einmal den Titel des Vizekönigs hatte verleihen lassen.
Noch auf dem Schlachtfeld hatten einige seiner Offiziere Bolivar gebeten, sie zur Befreiung ihrer Heimatorte freizustellen und mit Soldaten zu versehen. Dieser kam den Wünschen nach und schickte selbst noch einige andere aus, die sich wichtiger Städte bemächtigen sollten. Er selbst zog am 10. in Bogota ein und koordinierte die militärischen Operationen und leitete den Aufbau seiner Republik Großkolumbien. Mit Santander als Stellvertreter richtete er in den folgenden Wochen republikanische Strukturen ein und bereitete das Land auf die Befreiung aller Provinzen und der Nachbarländer vor. Pablo Morillo wußte genau, wieso er der verlorenen Ressourcen Neugranadas nachtrauerte.
Während die Königstreuen ihre Flucht, meistens auf dem Rio Magdalena nach Cartagena oder nach Süden Richtung Ecuador vorbereiteten, nahmen die Abteilungen Bolivars, verstärkt von örtlichen Guerillas, eine Reihe von wichtigen Provinzen ein. José Maria Cordoba befreite “sein” Antioquia noch im August. Leonardo Infante besetzte Honda in der Provinz Mariquita, und Anzoategui stellte in der Provinz Pamplona ein Heer zur Grenzsicherung gegen die Royalisten in Westvenezuela auf.
Sebastian de la Calzada hatte sich zum Zeitpunkt der Schlacht in Bogota befunden. Er übernahm das dort stationierte Bataillon Aragon und zog damit Richtung Popayan. Ambrosio Plaza erhielt von Bolivar den Auftrag, die Spanier zu verfolgen. Schon vor dem Eintreffen von Nicolas Lopez, der einen Teil der Flüchtlinge von Boyaca dem Heer de la Calzadas anschloß, waren die Verfolger nicht ausreichend stark, um einen Angriff zu riskieren. Auch die lokalen Patrioten, die sich zu Guerilla-Truppen zusammengeschlossen hatten, konnten die Spanier kaum mehr als belästigen. Anfang September teilte de la Calzada seine Truppen auf. Während er mit rund 400 Soldaten nach Popayan zog, sollte Miguel Rodriguez fünfhundert Mann über die Zentralkordillere ins Tal des Rio Cauca führen.
Joaquin Ricaurte, der die vergangenen Jahre krank in Casanare verbracht hatte, war nach dem Sieg Bolivars ins Kernland zurückgekehrt. Im Caucatal brachte er 2000 bewaffnete Patrioten zusammen, die am 29. September bei einer Hazienda namens San Juanito, bei Buga, nördlich von Cali, Rodriguez Truppe aufrieb. Dieser letzte Sieg des letzten überlebenden Generals der Ersten Republik, brachte nicht nur die Befreiung des Caucatals, sondern zwang de la Calzada obendrein zum Rückzug nach Pasto.
Die Spanier auf der Ostkordillere hatten sich angesichts der vorrückenden Patrioten, denen sich lokale Guerilla-Gruppen anschlossen, zurückziehen müssen, sodaß auch die Provinz Pamplona im September an die Republik fiel. Anzoategui hatte den Auftrag, ein Heer gegen die Division de la Torres aufzustellen, der die Provinz nach wie vor bedrohte. Das Unentschieden zwischen dem Spanier und Carlos Soublette, der die venezolanischen Verbände in ihre vorherigen Operationsgebiete zurückbrachte, änderte nichts an der Notwendigkeit für die Patrioten, ein Heer in der Grenzregion zu halten, um ein Gleichgewicht zu erreichen, damit die Spanier nicht einfallen konnten. Diese Truppen fehlten bei der anstehenden Eroberung der Nordküste. Erschwerend kam im November der krankheitsbedingte Tod Anzoateguis hinzu. Bartolomé Salom übernahm seine Aufgaben und schaffte es im folgenden Januar die Spanier auf Merida zurückzuwerfen.
Der Kongress von Angostura 1819
Bolivar war ja nicht nur Heerführer, sondern auch Präsident der Republik Venezuela. Nun sah er die Gelegenheit seine Vision von einer Vereinigung von Neugranada und Venezuela umzusetzen. Die Spanier hatten Neugranada nahezu vollständig aufgeben müssen. Lediglich Cartagena und die Küstenregion der Karibik, die Grenzregion zu Ecuador sowie Cucuta war noch in spanischer Hand. In Bogotá wurde Santander damit beauftragt, eine zivile Verwaltung aufzubauen, als Stellvertreter des Libertadors.
Bolivar kehrte nach Angostura zurück. Dort wollte er einen Kongress vorbereiten, der über den Zusammenschluss von Venezuela, Neugranada und der — nach wie vor von den Spaniern besetzten — Provinz Quito (heute: Ecuador) zur “Republik Kolumbien” beraten und beschließen sollte. Dieser Beschluss wurde am 17. Dezember 1819 in Angostura gefasst. Diese sollte drei große Departamentos umfassen: Venezuela, Cundinamarca und Quito. Neben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der Zentralgewalt sollte jedes Departamento über einen eigenen Gouverneur verfügen, der der Titel “Vizepräsident” tragen sollte. Bolivar wurde einstimmung zum Präsidenten gewählt, Zea (ein Neugranadiner) zum Vizepräsidenten. Die Vizepräsidenten der Departamentos wurden Santander (für Cundinamarca) und Roscio für Venezuela. Roscio starb allerdings kurz nach seiner Erennung. Sein Nachfolger wurde General Anzuola, der allerdings auch kurz nach der Befreiung Caracas’ 1820 starb. Daraufhin ernannte Bolivar, den kurz zuvor aus spanischem Kerker in Cadiz entlassenen Antonio Nariño zum Vizepräsidenten Venzuelas. Quito war noch nicht befreit. Deshalb wurde die Wahl dieses Vizepräsidenten verschoben. Gleichzeitig wurde beschlossen im Januar 1820 einen Kongress in Cucuta stattfinden zu lassen, der dem neuen Staat Kolumbien eine demokratische und republikanische Verfassung geben sollte. Auch die Entscheidung über die zukünftige Hauptstadt des Landes sollte dort gefällt werden. In Bogotá wurden einige Tage später unter Santanders Leitung, die Beschlüsse von Angostura in einer Notablenversammlung einstimmig gebilligt (Masur S. 385).
Der Eingang zur Quinta Bolivar in Bogotá
Waffenstillstand 1820
Noch aber waren die Spanier im Lande. Und immer noch gin von ihnen eine Bedrohung aus. Ein weiteres Expeditionsheer war angekündigt worden. Aber dazu kam es nicht mehr. Wieder einmal hatten Ereignisse, die sich im fernen Spanien zutrugen, entscheidende Wirkungen auf die neue kolumbianische Republik. Am 1. Januar 1820 meuterten in Cadiz die Truppen, die nach Südamerika geschickt werden sollten. Dieser Aufstand griff schnell auf das ganze Land über, wo man den König zur Wiedereinführung der Verfassung, die er nach seiner Rückkehr auf den Thron suspendiert hatte, aufforderte. Der König knickte ein und legte am 9. Mai den Eid auf die Verfassung einer nun nicht mehr absolutistischen sondern konstitutionellen Monarchie ab. Morillo wurde nun angewiesen in Venezuela die Verfassung zu veröffentlichen und den Frieden in den Kolonien herzustellen. Der Krieg drohte das Mutterland zu ruinieren. Morillo musste die politischen Gefangenen freilassen und sie unter den Schutz der Verafssung stellen. Morillo beugte sich, aber mit Groll. Er rief in Caracas eine “Junta de Pacificación” ein. Diese sandte ein Rundschreiben an alle Heerführer der republikanischen Armee und schlug einen Waffenstillszand von einem Monat vor, um über eine endggültige Beednigung des Krieges zu beraten. Aber Morillo wurde für anstehende Verhandlungen an den “Präsidenten der Republik Kolumbien” verwiesen. Bolivar wollte nicht von “Heerführer” zu Heerführer verhandeln, sondern von Staat zu Staat. So bliebt Morillo nichts anderes übrig, als mit Bolivar in seiner Eigenschaft als Präsident einer unabhängigen Republik zu verhandeln, was quasi einer Anerkennung der Unabhängigkeit gleichkam. Morillo zögerte. Bolivar nutze die Zeit für einen überraschenden Vorstoß nach Venzuela schreib aber gleichzeitig an Morillo, dass ihm sehr an einem Frieden gelegen wäre. Und tatsächlich, am 25. November wurde ein sehcsmonatiger Waffenstillstand unterschrieben, der das ganze Gebiet der kolumbianischen Republik umfasste. (Masur S. 401). Und am 27. November trafen sich die beiden Heerführer persönlich in Santa Ana de Trujillo, einer kleinen Ortschaft östlich des Lago de Maracaibo in Venezuela (vgl. den sehr amüsanten Bericht über dieses Treffen bei G. Masur S. 402 f.). Kurz nach dem Treffen von Santa Ana erklärte Morillo seinen Rücktritt als Oberkommandierender der spanischen Streitkräfte und segelte nach Europa zurück. Sein Nachfolger war General La Torre, der — Ironie des Schicksals — mit einer Verwandten Bolivars verheiratet war.
Entscheidung in Carabobo
Aber der Waffenstillstand wird gebrochen., weil der kolumbianische General Urdaneta, der in Maracaibo geboren war, sich an iner Erhebung in der zu dieser Zeit noch von den Spaniern besetzten Stadt beteiligt hat. Bolivar hatte dies zwar öffentlich ausdrücklich missbiligt, intern aber Urdanete zum Erfolg beglückwünscht und seine Heerführer auf die Wiederaufnahmen von Kampfhandlungen vorbereitet. Am 9. Oktober 1820 war in Guayaquil eine Erhebung gegen die spanische Herrschaft ausgebrochen. Da Quito als dritter Bestandteil der kolumbianischen Republik angesehen wird. beglückwünscht Bolivar die Aufständischen und sichert ihnen die Unterstützung Kolumbiens zu. Natürlich beschuldigte La Torre Bolivar des Bruchs der Waffenstillstandsvereinbarung. Es begann ein diplomatische Spiel. Bolivar schlug vor, einen neuen Waffenstillstand zu vereinbaren, schraubte dabei aber die Forderungen hoch. La Torre lehnte ab und erklärte das Ende der Waffenruhe zum 28. April 1820. Die Kampfhandlungen begannen erneut. Am 15. Juni standen sich beide Armeen erneut gegenüber. Bolivar war es gelungen, die drei Westarmeen der Republik zusammenzuführen und sich mit Urdaneta und Paez zu vereinigen. Damit hatten sie eine gewaltige Streitmacht von 6.500 Mann und waren erstmals den Spaniern (5.000 Mann) zahlenmäßig überlegen. In den Ebenen von Carabobo, ein Platz den La Torre sich selbt für die Schlacht ausgesucht hatte, wurde die spanische Armee vernichtend gechlagen. Von 5.000 Soldaten überlebten nur 400 (Masur S. 413). Die Schlacht von Carabobo war neben der Schlacht von Boyaca die zweite entscheidende Schalcht, die letztendlich das Ende der spanischen Herrschaft in Kolumbien bedeutete. Zwar konnten sich La Torre und Morales in die Festung Puerto Cabello flüchten, konnten von dort aus aber keine entscheidenden Vorstöße mehr unternehmen. Es folgte ein triumphaler Einzug Bolivars in Caracas am 29. Juni 1820. .Auch Venezuela war nun befreit.
Die Verfassung von Cucuta 1821
Der Kongress von Cucuta wählte Bolivar zum Präsidenten der “Republica de Colombia”. Am 3. Oktober 1821 legte er den Amtseid auf die neue Verfassung ab. Diese Verfassung war in einigen Punkten anders als in den Beschlüssen von Angostura. Der Präsident sollte sin Amt nur für 4 Jahre bekleiden und nur einmal wiedergewählt werden. Die Legislative bestand aus zwei Kammern: einem Ageordnetenhaus, das auf vier Jahre gewählt wird und einem Senat, der auf acht Jahre gewählt wird (also nicht, wie Bolivar es sich wünschte lebenslang). Es gab einen Vizepräsidenten und ein Kabinett bestehend aus fünf Staatssekretären und einem Mitglied des Obersten Gerichtshofes. D.h. die regionalen Vizepräsidenten wurden abgeschafft. An ihrer Stelle wurde das Amt des Intendanten geschaffen. Aber die drei in Angustura vorgeschlagen Departamentos wurden ersetzt durch mehrere kleinere Provinzen. Venezuela wurde in drei, Neugranada in vier Provinzen gegliedert. Als Hauptstadt wurde Bogotá festgelegt, was einige Venezolaner verärgerte. Und auch die Sklaverei wurde, Bolivars Versprechen zum Trotz, nicht grundsätzlich abgeschafft, sondern nur für die Söhne und Töchter der gegenwärtigen Sklaven. Bolivar hätte gerne Nariño als Vizepräsidenten gehabt. Aber der konnte ich bei den Parlamentariern nicht durchsetzen. Deshalb schlug Bolivar dann Santander vor, der auch gewählt wurde.