XI Congreso Nacional de Sociología
Es ist das erste mal, dass ich an einem kolumbianischen “Congreso Nacional de Sociología” teilnehme. In diesem Jahr konnten wir unsere Reisepläne so abstimmen, dass eine Teilnahme möglich wurde. Ich hatte einen Beitrag über Niklas Luhmann in der von Andrés Londoño und Rafael Rubiano (beide von der Universidad de Antioquia) geleiteten Session “Sociológicas: Clásicos y Contemporáneos” eingereicht. Er wurde in das Programm aufgenommen und nun befinde ich mich also seit zwei Tagen in Medellin auf dem XI Congreso Nacional de Sociología, der an der Universidad de Antioquia stattfindet, ein ausgesprochen schöner Campus mit sehr vielen tropischen Grünflächen.
Der soziologische Diskurs hier in Kolumbien hat mich doch ziemlich überrascht. Die alten politischen Haudegen der 68er hätten ihre helle Freude daran. Marx ist allgegenwärtig, ergänzt mit linken Theoretikern aus Mexico oder der Allende-Zeit aus Chile, deren Namen ich zum Teil noch nie gehört habe, die aber hier sehr präsent sind. Aber auch die soziologischen Klassiker, wie Weber, Simmel, Durkheim, natürlich auch Foucault und Bourdieu werden hier intensiv diskutiert. Auch die neueren “Theorien des Südens” und des “Postkolonialismus” spielen eine große Rolle. Und dabei wird ganz schön rumgehackt auf den imperialistischen Ländern des Westens. Natürlich kriegt auch Alemania sein Fett weg. Und ich als Exot aus Alemania mittendrin habe dann manchmal das Gefühl, den Kopf etwas einziehen zu müssen.
Zunehmend beschleicht mich das ungute Gefühl mit meinem Vortrag über “Niklas Luhmann: Sociología Clásica encuentra el Pensamiento Cibernetico” hier kaum eine Chance zu haben. Heute war ich in einer Session “Sociología de Trabajo”. Das kam mir vor wie in einer Mitgliederversammlung der Roten Zelle. Nicht allein wegen der Inhalte (Marx, Mehrwertrate, Surplus-Profit, konstantes und variables Kapital — obwohl die hier zu meiner Überraschung die Begriffe “totes” und “lebendiges” Kapital verwendeten, was ich in meiner Marburger Zeit, als ich mich wirklich gut in Politischer Ökonomie auskannte, immer sehr kritisiert hatte) sondern auch wegen der kommunikativen Atmosphäre. Da saß rechts (!) neben mir eine ganze Gruppe junger Leute, die an bestimmten Stellen tosenden Beifall klatschten und an bestimmten Stellen, die ich leider nicht verstanden habe, in kollektives Gelächter ausbrachen, während der Rest des Saales finster dreinblickte. Irgendwie kam mir das alles bekannt vor, obwohl ich gestehen muss, nicht voll durchgeblickt zu haben. Auch nicht als in der heutigen Abend-Plenar Session ein Transparent durch den Saal getragen wurde und dann an der Stirnseite des Auditoriums mit Tesafilm (Cinta-Pegante heißt das hier, was außerhalb Kolumbiens auch in Lateinamerika niemand versteht) befestigt wurde und den ganzen Kongress für abgesetzt erklärte. Na toll .…).
Luhmann hin, Luhmann her, die ganze Sache fing an, mir Spaß zu machen. Heute habe ich eine interessanten Soziolgen kennengelernt, den ich bisher nicht kannte, ihn aber hätte kennen sollen: Boaventura de Sousa Santos. Offensichtlich eine Kapazität im post-kolonialen Diskurs, dem ich in vielerlei Hinsicht zustimmen konnte, wenngleich mir seine spezifische Nord-Süd-Differenz das Re-Entry (Luhmannn) dieser Differenz innerhalb der lateinamerikanischen Länder ein wenig zu kurz kommt. Aber seine Epistemologie fand meinen Beifall.
Dann habe ich noch einen chilenischen Soziologen kenngelernt, der hat mir aus der Seele, nein aus dem Herzen gesprochen weil er einen differenztheoeretischen Systemansatz vertreten hat. Leider hatte ich keine Gelegneheit, nach seinem Vortrag mit ihm zu reden. Das muss ich also per Email nachholen.
Am Freitag war es dann soweit mit meinem Luhmann-Vortrag. Entgegen der Ankündigung im Programm war ich dann tatsächlich der einzige, der über Luhmann gesprochen hat (der zweite zu diesem Thema abgekündigte Vortrag fiel aus). In der anschließenden Diskussion hatte ich das Gefühl, dass ich den Vortrag auch in Deutsch hätte halten können. Jedenfalls gab es eine lebhafte Diskussion, in der sich herausstellte, dass viele der Soziologie-Professoren ihre Ausbildung an einer deutschen Universität erhalten haben und besser Deutsch sprachen als ich Spanisch. Dass ich so etwas wie “Luhmann-Begeisterung” habe wecken können, glaube ich nicht. Allerdings hat mich die Reaktion von einigen Studenten gefreut, die zumindest von der Soziokybernetik soweit angetan zu sein schienen, dass sie das Gefühl artikulierten, ihr Lehrplan sei vielleicht doch zu einseitig und dass da wohl etwas fehle. Ha, ha, ha …
Am Ende der Session gab es dann eine Generaldebatte, die sich auf alle gehaltenen Vorträge bezog. Und hier nahm die Diskussion dann eine Wende, die ich nicht erwartet hatte. Es ging nämlich plötzlich um Fragen der WISSENSKULTUREN und zwar am Beispiel der kolumbianischen Soziologie. Es ging nämlich um die Frage der epistemischen Kultur in der kolumbianischen Soziologie, die das Phänomen eines sehr stark an den (vor allem deutschen) Klassikern orientierten Diskurses hervorbringt und dem daran erhobenen Vorwurf einer eurozentristischen Reduktion. Warum werden die eigenen Denker so gering geschätzt? Und Lateinamerika hat ja nun eine Menge hervorragender Theoretiker und Empiriker hervorgebracht, aber die europäischen Klassiker stehen immer noch ganz obenauf auf der Skala der Lehrinhalte. Nun würde ich mir nicht anmaßen, kenntnisreich über die kolumbianische Soziologie zu reden (ich habe sie im Grunde ja in den drei vorangegangenen Tagen gerade erst kennengelernt) aber ich glaube etwas darüber zu verstehen, wie epistemische Kulturen funktionieren. Ohne lange darüber nachzudenken, wie sehr ich mich mit meiner fehlerhaften Unterscheidung von Indefinido und Preterite imperfect, meinem fragwürdigen Gebrauch der richtigen Futur-Form, meinen chronischen Artikelverwechslungen und meinem viel zu geringen Wortschatz blamieren würde, versuchte ich mich, in die Debatte einzubringen. Und erstaunlicherweise, es ging. Es ging sogar ziemlich gut. Anschließend habe ich mit einigen Kollegen aus Medellin darüber diskutiert, wie man das Thema WISSENSKULTUREN am besten in die Fakultät hineinbringen könnte. Und dann kam tatsächlich die Frage, ob ich nicht bereit wäre .…. Nein, bin ich natürlich nicht. Ich bin Renter, und dazu bekenne ich mich mittlerweile auch ohne wenn und aber. Na ja, ein kleines “aber” ist vielleicht doch denkbar. Dann nämlich, wenn es in unseren Reiseplan für Kolumbien im nächsten Jahr passt, aber auf gar keinen Fall eine ganze Lehrveranstaltung, höchstens mal einen Vortrag.
Abends bin ich jedenfalls immer fix und fertig, weil ich mich immer so sehr konzentrieren muss allein schon wegen der Sprache. Vieles versteh ich aber auch einfach nicht. Jetzt genehmige ich mir est mal einen Mojito und dann gehe im Parque Lleras etwas essen.