Ein anderes Kolumbien (II): Demokratische Öffnung
Im zweiten Abschnitt des Friedensabkommens geht es um die demokratische Mitwirkung aller Kolumbianer bei der Gestaltung des Friedens. Ohne eine demokratische Öffnung wird es keinen erfolgreichen und nachhaltigen Frieden geben, so die Überzeugung beider Vertragsparteien. Die unten skizzierten Vereinbarungen beschreiben drei Ziele einer Demokratisierung des Landes: Erstens eine generell größere Bürgerbeteiligung in allen politischen und öffentlichen Angelegenheiten, zweitens die Ausweitung der Demokratie als ein Weg, um die Gewalt im Lande beizulegen, und drittens den in Kolumbien so tief sitzenden und historisch verfestigten Zusammenhang zwischen politischer und gewaltsamer — auch bewaffneter — Auseinandersetzung aufzubrechen.
Dementsprechend weitreichend sind die vereinbarten Ziele, die sich in den folgenden Eckpunkten zusammenfassen lassen:
- Die Absicherung garantierter Rechte für jegliche oppositionelle politische Betätigung im allgemeinen und für die im Zuge des Friedesnprozesses neu entstehenden Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen im Besonderen.
- Entwicklung demokratischer Mechanismen zu einer umfassenden Bürgerbeteiligung, einschließlich direkter Mitwirkung auf den verschiedenen politischen Ebenen und bezüglich unterschiedlicher Themen
- Aufbau von effektiven Medien um eine größtmögliche politische Partizipation auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene und in allen gesellschaftlichen Sektoren zu ermöglichen. Dies schließt insbesondere die besonders verletztlichen und bedrohten Bevölkerungsteile ein, denen mit entsprechenden Sicherheitsgarantien eine aktive politische Betätigung unter gleichen Bedingungen ermöglicht werden soll.
All diese Punkte beziehen sich nicht nur — aber natürlich auch in besonderem Maße — auf die ebenfalls im Vertrag vereinbarte Transformation der FARC-EP von einer Guerilla-Organisation in eine legale politische Partei. Darüber hinaus erstrecken sie sich aber ganz generell auf das politische Leben im Lande. Ausdrücklich wird im Vertragstext darauf hingewiesen, dass die Ausübung von Politik sich keineswegs auf die Teilnahme an Wahlen beschränkt, und dass deshalb die Erzeugung eines Raumes von Demokratie und Pluralismus in Kolumbien verbunden sein muss mit der ausdrücklichen Anerkennung von Opposition, die sowohl von politischen Parteien aber auch von verschiedenen sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Gruppen ausgeübt werden kann und die sich sowohl gegen die nationale Regierung als auch gegen die Autoritäten in den Departamentos und den Gemeinden richten können.
Hervorgehoben wird, dass die Förderung einer demokratischen und partizipativen politischen Kultur auf dem Respekt demokratischer Werte und Prinzipien basiert, einem transparenten Umgang in den öffentlichen Angelegenheiten, sowie der Bekämpfung von Patronage und Korruption. Und sie erfordert die Integration von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, wie indigenen und afro-kolumbianischen Gruppen, Angehörigen der LGTBI und Frauen (insbesondere auf dem Lande).
Gefordert wird eine Wahlrechtsreform, Garantien für die freie Betätigung sozialer Organisationen und Bewegungen, wie Menschenrechtsbewegungen, ökologischen Bewegungen, Frauenbewegungen, LGTBI etc., Garantien für die ungehinderte Ausübung von politischem Protest, die aktive Erweiterung zivilgesellschaftlicher Partizipation in den Medien-Institutionen, um die Bevölkerung besser über die Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu infomieren und zur Mitarbeit zu motivieren. Und dies betrifft alle Ebenen, national, regional und lokal. Aber auch der Aufbau neuer Medieninstitutionen ist Bestandteil des Vertrages: Ein neuer TV-Kanal soll aufgebaut werden, der sozialen und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Verfügung stehen soll, aber auch den politischen Parteien. Außerdem sollen Maßnahmen ergriffen werden, um Toleranz und Aussöhnung zu fördern. Um dies umzusetzen wird um internationale Unterstützung gebeten.
Regeln für die Beendigung des Konfliktes
Im dritten Abschnitt des Friedensvertrages erklären beide Vertragspartner, die Regierung und die FARC-EP , ihren Willen zur definitiven Beedigung der Kampfhandlungen und der gegenseitigen Feindlichkeit. Diese Erklärung, die unter der Überschrift “Cese al Fuego y de Hostilidades Bilateral y Definitivo [CFHBD] steht, besteht aus drei Eckpunkten:
- Vereinbarung über einen bilateralen Waffenstillstand und die Abgabe der Waffen
- Wiedereingliederung der FARC-EP in das zivile Leben, in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht
- Verpflichtung der Exkommandanten der FARC zu deren aktivem Beitrag, auf den Erfolg der Reintegrationsmaßnahmen hinzuwirken
- Vereinbarungen zur Gewährleistung der Sicherheit und zur Bekämpfung krimineller Banden
Hauptziel dieses Abschnitts ist die Sicherstellung eines geordneten Übergangs in einen Zustand, der als “Post-Conflicto” bezeichnet wird. Eine Bezeichnung, die von vielen Kolumbianern als irreführend angesehen wird, weil mit dem Ende der Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der FARC noch lange nicht die Gewalt im Lande beendet sein wird. Dies ist zweifellos richtig, denn nach wie vor gibt es die ELN als aktive Guerilla-Gruppe, paramilitärische Gruppen (von der Regierung nur mehr als “kriminelle Banden” bezeichnet) treiben nach wie vor ihr Unwese und richten ihre Greueltaten gegen Menschenrechts- und Ökoaktivisten. Zu erwarten ist, dass auch ehemalige FARC-Kämpfer in naher Zukunft von diesen profaschistischen Gruppen aufs Korn genommen werden. Die Ereignisse aus den 80er Jahren, als Teile der FARC ihre Waffen niedergelegt hatten, sich als politische Partei, der “Unión Patriótica” (UP), formierten, anschließend aber von paramilitärischen Gruppen reihenweise ermordet wurden (unter ihnen zwei ihrer Präsidentschaftskandidaten) , hat sich tief in das historische Gedächtnis eingeschrieben. Aber es gibt auch FARC-Dissidenten, die nicht mit dem Friedensprozess einverstanden sind, und von denen man nicht weiß, wie sie sich in der Zukunft verhalten werden.
Der Vertragstext legt — so konkret wie das in solch einem Dokument möglich ist — die Einzelheiten des weiteren Vorgehens fest. Außerdem bereitet er die Schaffung eines institutionellen Rahmens vor, in dem die Wiedereingliederung stattfinden soll. Es werden insgesamt 31 Transitionszonen eingerichtet (23 Zonas Veredales und 8 Campamentos). In diesen Zonen sollen die erforderlichen logistischen und Sicherheits-Bedingungen geschaffen werden, um den Übergang der Kämpfer in ein ziviles Leben zu ermöglichen. In ihnen sollen sich bis März 2017 die FARC-Kämpfer und Kämperinnen sammeln, und hier soll auch die Registrierung aller Waffen durch Vertreter der UNO erfolgen, die dann bis August 2017 endgültig abgegeben werden.
Sowohl bei den “Zonas Veredales” (genaue Bezeichnung: “Zonas Veredales Transitorioas de Normalización [ZVTN]”) als auch bei den “Campamentos” handelt es sich um bestimmte Territorien, die als temporäre Übergangszonen definiert und deren Grenzen im voraus zwischen der nationalen Regierung und den FARC-EP vereinbart werden. Die beiden Typen von Transitionszonen unterscheiden sich hinsichtlich der Autonomierechte während der Übergangszeit, die mit 180 Tage angegeben wird (ob diese Zeit tatsächlich ausreicht, bleibt abzuwarten). In den “Zonas Veredales” haben (unbewaffnete) Angehörige der staatlichen Behörden jederzeit und ohne jede Einschränkung Zutritt. Dies ist bei den Campamentos nicht der Fall. Diese unterliegen vollständig den Strukturen und der Kontrolle der FARC-EP (Nuevo Acurdo, S. 111). In den “Zonas Veredales” ist während der gesamten Zeitdauer ihrer Existenz auch für die dort ansässige Zivilbevölkerung der Besitz und das Tragen von Waffen untersagt.
Die von der Regierung gegebenen Sicherheitsgarantien spielen zweifellos eine wichtige Rolle. In dem Vertragstext zielen diese nicht nur auf die Ex-Kombatanten der FARC ab, sondern erstrecken sich auch auf Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, ökologische Aktivisten, auf alle politisch aktiven Menschen, insbesondere auf jene, die in Opposition zur Regierung stehen. Ob die Regierung die in diesem Zusammenhang gegebenen Versprechen einhalten kann, ist indes zweifelhaft. Immerhin hat sie sich bereit erklärt zur Schaffung von Institutionen, die den Umsetzungsprozess des Friedensvertrages im allgemeinen und des Reintegrationsprozess im besonderen überwachen und seine Sicherheit garantieren sollen. Hierfür wird auch die von internationalen Organisationen (UNO) und einzelnen Ländern angebotene Unterstützung in Anspruch genommen. Außerdem wurde der Aufbau eines Elite-Corps der Nationalpolizei vereinbart, die für die Einhaltung der Sicherheitsgarantien zuständig sein wird.
Implementierung, Überprüfung und Berichterstattung
Um die die Umsetzung des Abkommens zu begleiten, Pläne zu diskutieren, Prioritäten zu setzen, Indikatoren festzulegen, wurde eine eigene “Comisión de seguimiento, impulso y verificación a la implementación del Acuerdo Final — CSIVI” gebildet. Ihr gehören jeweils 3 Mitglieder der Regierung und drei der FARC-EP. Die Kommission wird international unterstützt (UNO, Signatarmächte Kuba und Norwegen, EU, Deutschland u.a.).