Historischer Exkurs: Der Streit zwischen Föderalismus
und Zentralismus
In den Anfängen der Unabhängigkeitsbestrebungen gab es 1810 eigentlich zwei Republiken auf dem Boden des Vizekönigreiches Neugranada: 1. Die “Republica de Cundinamarca” (zentralistisch unter Antonia Nariño) und die föderative Republik der “Provincias Unidas” (unter Camillo Torres). Seit 1812 standen sich beide Seiten in einem Bürgerkrieg gegenüber, der bis zur Einnahme von Bogotá durch die Truppen der Provincias Unidas unter Simon Bolivar (sic!) im Jahre 1814 dauerte. Gleichzeitig aber gab es auf dem Territorium von Neugranada einige Provinzen, die überhaupt keine republikanischen Ambitionen hatten, sondern am spanischen Regentschaftsrat (Consejo de Regencia) und später dann an Ferdinand II als ihrem König festhielten. Das waren u.a. Santa Marta, Popayan, Pasto). Bogotá fiel schon zwei Jahre später (1816) wieder in die Hände der Spanier. 1818 wurde Juan de Samano Vizekönig von Neugranada.
Insgesamt wurden in den Anfangsjahren der Revolution über ein Dutzend Verfassungen verabschiedet. Das alles endete aber zunächst mit der Rückeroberung des Landes durch die Spanier. Nariño konnte zwar Samano noch 1814 bei Calibío schlagen, wurde aber dabei gefangengenommen und nach Spanien verschleppt. Danach war’s erstmal aus mit der Unabhängigkeit. Auch Bolivar war in Venzuela geschlagen und musste 1815 ins Exil nach Jamaica.
Am 12. Dezember 1819 wird im Kongress von Angustura die Vereinigung der beiden ehemaligen Vizekönigreiche Venezuela und Neugranada zur “Republica de Colombia” beschlossen. Von Histroikern wird dieser Staat auch als “Großkolumbien” bezeichnet, um es vom heutigen Staat, der seit 1886 den Namen Republik Kolumbien trägt, und der im Grunde lediglich das Territorium von Neugranada umfasst, zu unterscheiden. Ecuador war zu Beginn der Unabhängigekitskriege Bestandteil des Vizekönigreiches Neugranada, Provinz Quito. Nach dem Zerfall von “Großkolumbien” im Jahre 1830 hieß Kolumbien zunächst “Republik Neugranada” . Ab 1861 dann “Republica de Colombia”.)
Der neue Staat sollte aus den drei Departements Venezuela, Cundinamarca (das ehemalige Neu-Granada, bestehend aus den heutigen Ländern Kolumbien, Panama und Teilen Zentralamerikas) und Quito (heute Ecuador) gebildet werden. Simón Bolívar wurde zum Präsidenten, Francisco Antonio Zea zum Vize-Präsidenten der Republik gewählt, Francisco de Paula Santander erhielt die Regierungsgewalt in Neu-Granada, Germán Roscio in Venezuela. Nach der Befreiung Quitos sollte auch dort ein Regierungschef gewählt werden. Aber das alles war noch ein Provisorium bis zur Verabschiedung einer endgültigen Verfassung, die dann anderthalb Jahre später in Cucuta beschlossen wurde. In ihr waren aber wichtige Veränderungen gegenüber der ersten Proklamation von Angustero anthalten:
Der Kongress von Cucuta wählte Bolivar zum Präsidenten der “Republica de Colombia”. Am 3. Oktober 1821 legte er den Amtseid auf die neue Verfassung ab. Diese Verfassung war in einigen Punkten anders als in den Beschlüssen von Angostura. Der Präsident sollte sin Amt nur für 4 Jahre bekleiden und nur einmal wiedergewählt werden. Die Legislative bestand aus zwei Kammern: einem Ageordnetenhaus, das auf vier Jahre gewählt wird und einem Senat, der auf acht Jahre gewählt wird (also nicht, wie Bolivar es sich wünschte lebenslang). Es gab einen Vizepräsidenten und ein Kabinett bestehend aus fünf Staatssekretären und einem Mitglied des Obersten Gerichtshofes. D.h. die regionalen Vizepräsidenten wurden abgeschafft. An ihrer Stelle wurde das Amt des Intendanten geschaffen. Aber die drei in Angustura vorgeschlagen Departamentos wurden ersetzt durch mehrere kleinere Provinzen. Venezuela wurde in drei, Neugranada in vier Provinzen gegliedert. Als Hauptstadt wurde Bogotá festgelegt, was einige Venezolaner verärgerte. Und auch die Sklaverei wurde, Bolivars Versprechen zum Trotz, nicht grundsätzlich abgeschafft, sondern nur für die Söhne und Töchter der gegenwärtigen Sklaven. Bolivar hätte gerne Nariño als Vizepräsidenten gehabt. Aber der konnte ich bei den Parlamentariern nicht durchsetzen. Deshalb schlug Bolivar dann Santander vor, der auch gewählt wurde.
Nach dem Zerfall des von Bolivar gegründeten Großkolumbiens entstanden in kurzer Folge und fast immer nach Militärputschen verschiedene Republiken mit abwechselnden zentralistischen oder föderalistischen Verfassungen. Kolumbien hatte im 19 Jahrhundert folgende Namen und Verfassungen:
- 1810 — Republica de Cundinamarca (zentralistisch unter Antonia Nariño, Sitz Bogotá) und der föderativen Republik der Provincias Unidas (unter Camillo Torres, Sitz Tunja). Beide bestanden aber nur bis Reconquista der Spanier im Jahre 1816)
- 1819 — Republica de Colombia (1819 — 1830: Gran Colombia)
- 1830 — Republica de la Nueva Granada (1853 liberale Verfassungsreform nach dem Brügerkrieg 1851. Erneuter Bürgerkrieg 1854 )
- 1858 — Confederación Granadina (föderative Struktur mit 8 Einzelstaaten und einem Zentralparlamen, 1860 — 1863 Bürgerkrieg)
- 1863 — Estados Unidos de Colombia (Radikal-liberale und laizistische Verafssung v. 8. Mai 1863 (Rio Negro, Mosquera), neun weitgehend unabhängige Einzelstaaten, aber erneute Bürgerkriege 1876–1877 und 1885 als die Liberalen sich gegen Präsident Rafael Nuñez erhoben.)
- 1886 Republica de Colombia (Nuñez siegte, gründete die Partido Nacional und führte eine zentralistische und konservativ geprägte Verfassung ein)
Originalquellen der damaligen Auseinandersetzung zwischen Santander und Nariño sind:
- Santander: Artikel unter dem Pseudonym “El Toro” in der von Nariño herausgegebenen Zeitung “El Patriota” (1823) (Kritik am Föderalismus und Plädoyer für die Verfassung von Cucutá, aber m.E. kein Plädoyer für Zentralismus, wie manchmal behauptet wird, sondern nur für die Einheit Kolumbiens auf der Basis einer verfassungsrechtlichen Ordnung, wie sie in Cucuta beschlossen wurde und gegen die Selbständigkeit der drei Staaten, wie sie noch vorher im Beschluss von Angustera vorhanden waren: Venezuela, Cundinamarca und Quito. Die Verfassung von Cucuta hat diese Einheiten ja aufgelöst und an ihre Stelle mehrere kleinere Provinzen gesetzt. Venezuela wurde in drei, Neugranada in vier Provinzen gegliedert. Auch die regionalen Vizepräsidenten wurden abgeschafft. An ihrer Stelle wurde das Amt des Intendanten geschaffen. Damit war die Verfassung von Cucutá im Grunde eine zentralistische Verfassung, die aber föderative Elemente enthielt durch die Schaffung von insgesamt acht Provinzen. Diese föderativen Elemente waren aber nicht mehr identisch mit den vorangegenagenen Staaten bzw. spanischen Verwaltungseinheiten und insofern wurden sie als Absage gegen den Föderalismus gesehen. Da Santander diese Regelung mit Nachdruck unterstützte, wurde ihm vorgewofern vom Föderalsiten zum Zentralisten mutiert zu sein. Aber das ist m.E. nicht wahr. Als Hauptstadt wurde Bogotá festgelegt, was im Übrigen einige Venezolaner verärgerte. (siehe auch: Bolivars Staatstheorie )
- Antonio Nariño: Los Toros de Fucha (Monographie 1823, Kritik der Kritik von Santander und erstmals der Begriff des “Patria Boba”)
- Antonio Nariño: Ensayo de unnuevo plan de administración en el Nuevo Reinato de Nuevagranada (1810 ?, Plädoyer für den Zentralismus)