Gesellschaft,  Gewalt

Zur Lage der indigenen Bevölkerung in Kolumbien

Seit meh­re­ren Wochen pro­tes­tie­ren indi­ge­ne Grup­pen in ins­ge­samt vier Depart­a­ment­os Kolum­bi­ens (Hui­la, Nari­ño, Cau­ca, Val­le de Cau­ca) gegen die schlech­te Ver­sor­gungs­la­ge in ihren Gebie­ten, indem sie wich­ti­ge Durch­gangs­stra­ßen, dar­un­ter die »Pan Ame­ri­ca­na«, blo­ckie­ren. In den letz­ten Tagen ist die­se Aus­ein­an­der­set­zung eska­liert. Nach­dem bei einer im Prin­zip gewalt­frei­en und unbe­waff­ne­ten indi­ge­nen Mani­fes­ta­ti­on vor ein paar Tagen ein Poli­zist erschos­sen wor­den ist, star­ben ges­tern im Muni­ci­pio Dagua (Depart­a­men­to Val­le de Cau­ca) in einer Ver­samm­lung von indi­ge­nen Gemein­schaf­ten 8 Per­so­nen bei einer Explo­si­on. Noch wird dar­über gerät­selt, ob es sich um ein Unglück oder ein geziel­tes Atten­tat han­delt. Die Tat­sa­che, dass die Ver­samm­lung aber der Vor­be­rei­tung einer gro­ßen Kund­ge­bung am kom­men­den Sonn­tag dien­te, lässt befürch­ten, dass es sich um einen geziel­ten Anschlag handelte.

In der Ver­fas­sung von 1991 wird den Indi­ge­nen das Recht auf eige­nen gemein­schaft­li­chen Land­be­sitz, Schutz- und Nut­zungs­rech­te der natür­li­chen Res­sour­cen zuge­si­chert. Außer­dem haben sie das Recht auf Mit­be­stim­mung bei der Pla­nung und Durch­füh­rung von staat­li­chen und pri­va­ten (Groß-) Pro­jek­ten im Bereich ihrer Ter­ri­to­ri­en, sowie eine rela­ti­ve Auto­no­mie in Fra­gen der eige­nen Ent­wick­lung und For­men von Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on für die poli­ti­sche und admi­nis­tra­ti­ve Ver­tre­tung (u.a. eine eige­ne Poli­zei, der »Guar­dia Indigena«). 


(Ange­hö­ri­ger der Guar­dia Indi­ge­na, Pue­blo Pui­na­ve, Comu­ni­dad El Rem­an­so, Rio Iní­ri­da, Guainía;
Foto: M. Paetau) 

Aber die­se ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Rech­te wer­den durch die gesell­schaft­li­che Rea­li­tät im Lan­de per­ma­nent unter­lau­fen. Vie­le Gemein­schaf­ten sehen sich einer aggres­si­ven Expan­si­ons­dy­na­mik der natio­na­len Gesell­schaft aus­ge­setzt. Ins­be­son­de­re eine Rei­he extrak­ti­vis­ti­scher Unter­neh­mens­stra­te­gien (Erd­öl- und Erd­gas­för­de­rung, Koh­le­mi­nen, Gold­mi­nen, Palm­öl, etc.), die zum Teil lega­ler Bestand­teil der natio­na­len Ent­wick­lungs­po­li­tik sind, zum Teil aber auch voll­kom­men ille­gal und gewalt­sam durch­ge­setzt wer­den, bedro­hen die Exis­tenz der indi­ge­nen Gemein­schaf­ten. Hin­zu kommt, dass Infra­stru­kur, der Zugang zu Bil­dung und zum Gesund­heits­sys­tem kei­nes­wegs gewähr­leis­tet ist, v.a. in den abge­le­ge­nen Gebieten. 

Laut Ver­fas­sung ist Kolum­bi­en eine mul­ti-eth­ni­sche Repu­blik. Es leben ca. 100 ver­schie­de­ne indi­ge­ne Gemein­schaf­ten in ver­schie­de­nen Tei­len des Lan­des, die meis­ten jedoch in den Urwald­ge­bie­ten des Ama­zo­nas und des Orino­cos, in den nord­öst­li­chen Küs­ten­re­gio­nen von La Gua­ji­ra sowie in den süd­west­li­chen Anden­tä­lern der Depart­a­ment­os Hui­la, Cau­ca und Val­le del Cau­ca u.a.. Die Anga­ben über die Anzahl der indi­ge­nen Gemein­schaf­ten schwankt und hängt von der jewei­li­gen Defi­ni­ti­on ab, was als eigen­stän­di­ge Gemein­schaft bezeich­net wird. Der offi­zi­el­le Kri­te­ri­en­ka­ta­log der UNO ist hier wenig hilf­reich, weil auch er schwam­mi­ge Begriff­lich­kei­ten ver­wen­det, wie bei­spiels­wei­se a) eth­ni­sche Iden­ti­tät und kul­tu­rel­le Gleich­ar­tig­keit (z.B. Spra­che), b) gemein­sa­me geschicht­li­che Über­lie­fe­rung, c) reli­giö­se oder ideo­lo­gi­sche Ver­wandt­schaft, d) Gebiets­be­zo­gen­heit und e) Gemein­sa­mes Wirtschaftsleben. 

Auch ein Ver­gleich der ver­schie­de­nen Sprach­fa­mi­li­en bringt nur eine unge­fäh­re Annä­he­rung, weil man dann näm­lich Ähn­lich­kei­ten von regio­nal sehr weit aus­ein­an­der­lie­gen­den Gemein­schaf­ten fest­stellt. Man unter­schei­det in Kolum­bi­en — grob geschätzt — vier gro­ße Sprachfamilien: 

1. Chib­cha-Sprach­fa­mi­li­en, loka­li­siert im Süd­wes­ten (Paez mit ca. 120.000 Per­so­nen; Guam­bia­no; Awa; Kamsa), im Hoch­land von Cun­di­na­mar­ca und Boya­ca (Muis­cas mit ca. 12.000 Per­so­nen), im Osten (U‘wa; Bari), und im Nor­den, der Sier­ra Neva­da de San­ta Mar­ta (Kogi [Kág­ga­ba] mit ca. 10.000 Per­so­nen; Wiwa [Arz­a­rio, Gua­ma­ca, Malayo, San­já, Duma­na] mit ca. 13.000 Per­so­nen]); und in Cesar (Arhu­a­co [Ika]; Arz­a­rio) sowie dem Grenz­ge­biet zu Pana­ma (Kuna).

2. Ara­wak-Sprach­fa­mi­lie im Nord­os­ten La Gua­ji­ra: Wayúu (Gua­ji­ro) [ca. 140.000 Pers. / 20% der Indi­ge­nen] aber auch im Süd­os­ten, im Ama­zo­nas Gebiet (Achacua, Pia­po­ko, Curripaco).

3. Emeberá-Sprach­fa­mi­lie deren Haupt­sied­lungs­ge­biet im Cho­co liegt (79 res­gua­dos) und Val­le de Cau­ca, Cau­ca, Nari­ño, Putu­ma­yo, Caque­tá und Cor­do­ba (44 res­guar­dos) [ins­ge­samt ca. 70.000 Pers.]

4. Kari­ben-Sprach­fa­mi­lie, an der Kari­bik­küs­te (Yuko [Yup­ka] mit ca. 3.500 Per­so­nen; Cari­jo­na mit ca. 230 Personen).

Eine gute Über­sicht über die ver­schie­de­nen Indi­ge­nen­grup­pen gibt die Web­site der ONIC, (Orga­ni­za­ción Nacio­nal Indi­ge­na de Colom­bia), der Dach­or­ga­ni­sa­ti­on der kolum­bia­ni­schen Indigenen-Verbände.