Friedensprozess

Tom Koenigs’ Schweigen

Es ist eine para­do­xe Sitau­ti­on: Wäh­rend die Hoff­nung auf den Abschluss eines Frie­dens­ver­tra­ges zwi­schen der kolum­bia­ni­schen Regie­rung und der FARC gestie­gen und ein Frie­den tat­säch­lich in greif­ba­re Nähe gerückt ist, hat die Zahl der poli­tisch moti­vier­ten Mor­de in Kolum­bi­en  2015 zuge­nom­men. Wäh­rend bereits im Dezem­ber die Men­schen­rechts­kom­mis­si­on der UNO dar­auf auf­merk­sam gemacht hat, dass in Kolum­bi­en 2015 mehr Men­schen aus poli­ti­schen Moti­ven umge­bracht wur­den als im Jah­res­durch­schnitt der letz­ten zwan­zig Jah­re (UNHR: comu­ni­ca­do de pren­sa). In einer am 19. Novem­ber 2015 ver­öf­fent­lich­ten Pres­se­er­klä­rung macht der Hoch­kom­mis­sar der Ver­ein­ten Natio­nen für Flücht­lin­ge (UNHCR) dar­auf auf­merk­sam, dass er zwi­schen 1994 und 2015 ins­ge­samt 729 poli­ti­scher Mor­de in Kolum­bi­en ver­zeich­net hat, davon allein 20 in den ers­ten neun Mona­ten des Jah­res 2015. Der UNHCR weist dar­auf hin, dass fast alle Mor­de bis­lang straf­frei geblie­ben sind. Nament­lich wer­den die jüngs­ten und bereits in mei­nem Bei­trag vom 23. Novem­ber erwähn­ten Anschlä­ge auf JOHN JAIRA RAMIREZ OLAYA, DANIEL ABRIL, LUIS FRANCISCO HERNÁNDEZ GONZALES erwähnt. Der UNHCR hebt in der Pres­ser­klä­rung die wich­ti­ge Rol­le her­vor, die die Men­schen­rechts­ver­tre­ter beim Auf­bau einer demo­kra­ti­sche­ren und glei­che­ren Gesell­schaft, ins­be­son­de­re in der gegen­wär­ti­gen Pha­se des Auf­baus eines dau­er­haf­ten Frie­dens spie­len, und for­dert die staat­li­chen Insti­tu­tio­nen Kolum­bi­ens auf, mehr zum Schutz der Per­so­nen, die sich für die Men­schen­rech­te ein­set­zen, zu unternehmen.

Betrach­tet man die jüngs­ten Vor­komm­nis­se dann gewinnt man nicht den Ein­druck, dass die staat­li­chen Insti­tu­tio­nen die­ser Auf­f­for­de­rung gro­ße Beach­tung schen­ken. Mein im Novem­ber gewon­ner Ein­druck, eines unge­stör­ten Durch­mar­sches rech­ter para­mi­li­tä­ri­scher Ver­bän­de scheint Tag für Tag bestä­tigt zu wer­den. Anfang Janu­ar, waren fünf Men­schen im Chocó ermor­det wor­den, zwei der Opfer leb­ten auf den kol­lek­ti­ven Län­de­rei­en der Caca­ri­ca-Frie­dens­ge­mein­den. Ein­woh­ner des Gebie­tes spre­chen von mitt­ler­wei­le 1.000 Para­mi­li­tärs in der Regi­on. Dem Mili­tär, das Ein­woh­nern zufol­ge nur zehn Kilo­me­ter von dem Stütz­punkt der Para­mi­li­tärs eine Basis hat, wird vor­ge­wor­fen, den Auf­marsch der Para­mi­li­tärs in den kol­lek­ti­ven Ter­ri­to­ri­en der Afro­ko­lum­bia­ner nicht nur zu dul­den son­dern die­sen sogar zu unter­stüt­zen. (ame­ri­ka 21- Nach­rich­ten und Ana­ly­sen aus Latein­ame­ri­ka; v. 18.1.2016)

Auch CARITAS mel­det mitt­ler­wei­le Besorg­nis über die zuneh­men­de Kon­zen­tra­ti­on para­mi­li­tä­ri­scher Ver­bän­de und einer Zunah­me von Gewalt in den von die­sen besetz­ten Gebie­ten. “Wir stel­len mit gro­ßer Sor­ge fest, dass bewaff­ne­te Grup­pen sich ins­be­son­de­re in den Regio­nen aus­brei­ten, aus denen sich die FARC im Vor­feld der Unter­zeich­nung des Frie­dens­ver­tra­ges zurück­zieht”, berich­tet der Direk­tor der Cari­tas Kolum­bi­en, Mon­se­ñor Hec­tor Fabio Henao. (Cari­tas-Pres­se­er­klä­rung vom 1. März 2016) 

Unter dem Ein­druck die­ser Ereig­nis­se ist es befremd­lich, dass der deut­sche Son­der­be­auf­trag­te für den Frie­dens­pro­zess in Kolum­bi­en, der Grü­nen-Abge­ord­ne­te Tom Koe­nigs, in sei­nen Berich­ten, die­se dra­ma­ti­sche Sitau­ti­on nicht ein­mal für erwäh­nens­wert hält. War­um er das nicht tut, kann ich mir nicht erklä­ren, denn sicher­lich kann Tom Koe­ni­ges nicht ver­däch­tigt wer­den, den Men­schen­rechts­ak­ti­vi­tä­ten zu wenig Auf­merk­sam­keit ent­ge­gen­zu­brin­gen. Noch in sei­ner Pres­se­er­klä­rung zum Tage der Men­schen­rech­te am 2. Dezem­ber 2015 hat­te er geschrie­ben: “Es zeigt sich, dass Rechts­staat­lich­keit allei­ne häu­fig kei­ne Garan­tie für die Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te ist. Auch Rechts­staa­ten brau­chen Men­schen­rechts­ver­tei­di­ger, die den Zustand der Men­schen­rech­te stän­dig über­prü­fen, beob­ach­ten und öffent­lich zum The­ma machen.” Ja, was nun? Fragt man sich. Gera­de das wird gegen­wär­tig in Kolum­bi­en durch para­mi­li­tä­ri­sche Gewalt zu ver­hin­dern ver­sucht. War­um erhebt er sei­ne Stim­me nicht? Könn­te es sein, dass er sich bei sei­nem Beob­ach­tun­gen zu sehr auf die Gesprä­che in Havan­na kon­zen­triert und ihm dabei die Gesamt­si­tua­ti­on im Lan­de aus dem Blick gerät?