Persönliche Beobachtungen

Bodyguards der Armen

Wer in Bogo­tá lebt ent­wi­ckelt eine ande­re Sen­si­bi­li­tät für Gefah­ren, die einem von Per­so­nen mit unlau­te­ren Absich­ten dro­hen kön­nen, als jemand, der in Bonn lebt. Zwei­fel­los wird auch in Bonn bei einem nächt­li­chen Fuß­weg von einer Par­ty nach Hau­se die Auf­merk­sam­keit gestei­gert, wenn man Schrit­te in sei­ner Nähe hört. Aber solan­ge die kör­per­ei­ge­nen Alarm­sen­so­ren nicht außer­ge­wöhn­li­che Bewe­gun­gen des Ande­ren mel­den, die man — zu Recht oder zu Unrecht — als beun­ru­hi­gend wer­tet, bleibt man doch rela­tiv gelas­sen. In Bogo­tá ist das etwas anders. Schon tags­über mel­den die Sen­so­ren sofort, wenn eine Per­son sich zu nah befin­det, zu lan­ge hin­ter einem her­geht oder um Aus­kunft nach einer Adres­se bit­tet. Freund oder Feind? Die­se Fra­ge schießt einem in sekun­den­schnel­le durch den Kopf. Auch hier stellt sich die Situa­ti­on in den meis­ten Fäl­le als harm­los her­aus, aber die Sen­si­bi­li­tät ist erheb­lich gestei­gert. Das betrifft mitt­ler­wei­le auch Fahr­ten mit dem Auto und selbst­ver­ständ­lich auch Besu­cher an der eige­nen Wohnung.

Je nach Mög­lich­kei­ten und sozia­ler Klas­sen­la­ge ver­su­chen die Bogo­ta­ner sich dar­auf ein­zu­stel­len und haben ent­spre­chen­de Schutz­me­cha­nis­men ent­wi­ckelt. Die Rei­chen ver­bar­ri­ka­die­ren sich, mau­ern und zäu­nen sich ein, las­sen sich durch Body­guards beglei­ten, manch­mal sogar in einer mar­tia­lisch erschei­nen­den Kolon­ne von schwe­ren, mit Pan­zer­glas ver­stärk­ten und Sicht­blen­den ver­se­he­nen und meist schwarz lackier­ten Fahr­zeu­gen, den “car­ros blind­ados”. In den öffent­li­chen Gebäu­den, Ein­kaufs­zen­tren und Plät­zen patroul­liert — zusätz­lich zum Wach­per­so­nal an den Ein­gän­gen — “per­so­nal de segu­ri­dad” mit spe­zi­ell aus­ge­bil­de­ten Hun­den, Deut­sche Schä­fer­hun­de, Dober­mans, Rott­wei­ler. Hun­de gibt es sehr vie­le in Bogo­tá. Und auch hier teilt sich die Stadt in Nord (die rei­che­ren Stadt­ge­bie­te) und Süd (die ärme­ren Stadt­vier­tel). Im Nor­den gehö­ren die soge­nann­ten Hun­de­aus­füh­rer mitt­ler­wei­le zum Stadt­bild. Das sind Per­so­nen, die sich ein paar Pesos dadurch ver­die­nen, dass sie die Hun­de der Rei­chen aus­füh­ren. Und zwar im Rudel, manch­mal um die zwan­zig Hun­de, ver­schie­de­ner Grö­ßen und Rassen.

Hunde-in-Bogota
Hun­de-in-Bogo­ta

Im Süden sieht es etwas anders aus. Hier wer­den kei­ne Hun­de aus­ge­führt, son­dern die Hun­de sind ein­fach da. Und sie ver­su­chen sich frei­le­bend in einem bestimm­ten Ter­ri­to­ri­um, einer Stra­ße, einem Stra­ßen­ab­schnitt oder einem Platz, eben dort wo sie aus­rei­chend Nah­rung fin­den und wo sie gedul­det wer­den, fest­zu­set­zen. Das bedeu­tet in der Regel einen nicht unkom­pli­zier­ten Inte­gra­ti­ons­pro­zess in eine Grup­pe dort schon vor­han­de­ner Art­ge­nos­sen. Manch­mal wer­den sie weg­ge­bis­sen, dann müs­sen sie sich eine ande­re Grup­pe suchen, manch­mal gelingt es ihnen, sich zu inte­grie­ren. Ob sie blei­ben und wie­vie­le Hun­de län­ger­fris­tig in solch einer Grup­pe blei­ben hängt nicht zuletzt von den dort exis­tie­ren­den Nah­rungs­be­din­gun­gen ab. Und hier kommt es nun zu einer Art Win-Win-Situa­ti­on zwi­schen Tier und Mensch. Die Menschn haben gelernt, dass wenn sie — trotz all ihrer Armut — die Hun­de aus­rei­chend ver­sor­gen, aus deren Anwe­sen­heit einen wich­ti­gen Vor­teil zie­hen: Mehr Sicherheit.

 

keine-waffen

Denn die für uns Deut­sche gewöh­nungs­be­dürf­ti­ge Sicher­heits­la­ge Bogo­tás betrifft jeden, ob reich oder arm. Eine Zeit­lang hat­te ich mal geglaubt, die Armen sei­en inso­fern siche­rer, als es bei ihnen ja sowie­so nichts zu holen gibt. Aber das war ein Irr­tum. Mitt­ler­wei­le habe ich vie­le Per­so­nen ken­nen­ge­lernt, die bit­ter arm sind und denen den­noch das Weni­ge, was sie besa­ßen abge­nom­men wur­de, auf dem Nach­hau­se­weg, zu Fuß, im Bus oder eben zuhau­se in der eige­nen Woh­nung. Das gene­tisch beding­te Ter­ri­to­ri­al­ver­hal­ten der Hun­de sogt dafür, dass beim Ein­tritt frem­der Per­so­nen in das eige­ne Ter­ri­to­ri­um, sei es nun der Stra­ßen­ab­schnitt, der Hof oder ein bestimm­ter Kiez, sofort Alarm geschla­gen wird, und gege­be­nen­falls es sogar zu Ver­tei­di­gungs­ak­tio­nen kommt. Wie ich fin­de, ein bemer­kens­wer­tes Äqui­va­len zum Wach­per­so­nal der Rei­chen, das man als eine Art “Open Source Äqui­va­lent” bezeich­nen könnte.