Landschaften und Orte,  Persönliche Beobachtungen

Medellin

Dass die Kolum­bia­ner Früh­auf­ste­her sind, habe ich mitt­ler­wei­le rea­li­siert. Die Ratio dar­an ist der enor­me Ver­kehr. Will man nicht im Stau fest­sit­zen, lohnt sich eine Stun­de frü­her zur Arbeit zu fah­ren. Jetzt stel­le ich aber fest, dass ich offen­sicht­lich schon von die­sem Früh­auf­ste­her-Virus infi­ziert bin. Mein Hotel hier in Medel­lin, in dem ich wäh­rend des XI Con­gre­so Nacio­nal de Socio­lo­gia woh­ne, liegt zwar recht hübsch am Par­que Pobla­do, aber ab sechs Uhr mor­gens ist hier schon die Höl­le los. Nur das Früh­stück gibt es erst ab sie­ben. Und da es auf der Ter­as­se ein­ge­nom­men wird, und es bis­her fast jeden mor­gen um 7 einen Regen­schau­er gege­ben hat, wird dar­aus dann meis­tens doch erst 8 Uhr. Aber um 8 Uhr begin­nen bereits die Ver­an­stal­tun­gen der Kon­fe­renz an der Uni. Was die nor­ma­len Semi­na­re betrifft, berich­ten mei­ne kolum­bia­ni­schen Kol­le­gen von Ver­an­stal­tun­gen, die um sechs (sic!) Uhr mor­gens beginnen.

Dass ich immer um sechs wach wer­de kann hier im Hotel auch damit zu tun haben, dass jeden mor­gen um sechs die Natio­nal­hym­ne auf allen Kanä­len geschmet­tert wird. Und an der Rezep­ti­on haben die das Radio eigent­lich immer an. Das Glei­che wie­der­holt sich dann abends um sechs. Und natür­lich wur­de auch der Kon­gress mit der Natio­na­hym­ne eröff­net. Dann eine klei­ne Begrü­ßungs­an­spra­che des Rek­tors und danach wie­der eine Hym­ne. Dies­mal die der Uni­ver­si­dad de Antio­quia. Also immer auf­ste­hen, hin­setz­ten, auf­ste­hen und wie­der hin­set­zen. Katho­li­ken mögen das ja bei ihren ein­schlä­gi­gen Ver­samm­lun­gen gewohnt sein, aber ich?

Das Früh­stück ist eigent­lich das ein­zi­ge, was mir an dem Hotel nicht gefällt. Es gibt immer das­sel­be und wird vom Bedie­nungs­per­so­nal lieb­los vor einem hin­ge­knallt. Das ist abso­lut unty­pisch für Kolum­bi­en, wo man eigent­lich immer sehr lie­be­voll bedient wird. Aber hier ist irgend­wie der Wurm drin. Nach­dem man auf der Ter­as­se erschie­nen ist und sich an einen frei­en Platz gesetzt hat, schlürft eine der bei­den Bedie­nungs­per­so­nen in die­sen all­ge­gen­wär­ti­gen kolum­bia­ni­schen Gum­mi-Arbeits-Lat­schen (Crooks oder wie die hei­ßen), die ein wenig an die­se Hol­land-Lat­schen erin­nern, aber eben aus Gum­mi oder Plas­tik sind und in allen Far­ben zu krie­gen sind. Meis­tens sind sie aber blau. Con­stan­za hat auch sol­che. Angeb­lich sol­len die sehr bequem sein, aber ich wer­de sie nicht an mei­ne Füße lassen.

Wenn man in Kolum­bi­en “Café con Leche” bestellt erhält man in der Regel “Leche con Café”. Da ich das weiß, bestell ich immer “Café Tin­to (das ist schwar­zer Kaf­fee) con un poqui­to (!) de leche”. Aber das Bedie­nungs­per­so­nal ver­wech­selt das mit Pene­tranz und bringt “leche con un poqui­to café” oder hört nur “leche” und knallt mir dann einen Milch­topf ohne Unter­tas­se vor die Nase, wo man nur ahnen kann, dass da eine Kaf­fee­boh­ne durch­ge­zo­gen wur­de. Das hat sich all mei­nem Pro­test zuwi­der in den vier Tagen hier nicht geän­dert. Aber immer­hin konn­te ich heu­te — nach vier Tagen Muf­fel­früh­stück der Seño­ri­ta das ers­te mal ein Lächeln ent­lo­cken. Oh, der Tag muss gut werden..

Mein Hotel ist sehr klein (eigent­lich eher eine Art “Pen­si­on”) und sehr ein­fach aber ganz neu und sehr modern ein­ge­rich­tet (also nicht mit dicken Tep­pich­bo­den, wo der Pilz nur auf sein nächs­tes Opfer war­tet), son­dern leicht zu rei­ni­gen­de Flie­sen. Blitz­blank. Und weil alles noch so neu ist, funk­tio­niert alles pri­ma. Da stört dann auch nicht so sehr, dass die Was­ser­häh­ne mal links, mal rechts her­um auf­zu­dre­hen sind. Ja manch­mal sogar der lin­ke rechts und der rech­te links. Und manch­mal ist das war­me Was­ser links und das kal­te rechts (wie ich das nach DIN-Norm ken­ne), manch­mal aber eben das war­me rechts und das kal­te links. Egal, man kann das schnell raus­krie­gen und dann weiß man es eben.

Im Hotel gefällt mir sogar die Ein­rich­tung gut. Nicht der übli­che Hotel­kitsch und sogar aus­ge­spro­chen tol­le Bil­der (schei­nen sogar Ori­gi­na­le zu sein). Alles modern bis post-modern. Das ers­te Zim­mer muss­te ich aller­dings wech­seln, weil es anstatt Fens­ter nur sol­che Glas­bau­stei­ne hat­te, durch die etwas Licht fiel. Ich lei­de zwar nicht unter Klaus­tro­pho­bie aber den­noch, das war nicht aus­zu­hal­ten. Am nächs­ten Tag hat­te ich ein neu­es Zim­mer auf der ande­ren Sei­te des Hotels, der Stra­ßen­sei­te. Na ja, Stra­ßen­lärm schreckt mich nicht, aber ich wuss­te nicht, dass genau unter dem Zim­mer sich eine Dis­ko­thek befin­det. Nun krie­ge ich immer gute Musik in abso­lu­ter Dröhn­stär­ke zum Ein­schla­fen. Na ja, ganz so schlimm ist es auch nicht, weil die Dis­co pünkt­lich um Mit­ter­nacht schließt, und dann ist es ruhig.

Also mor­gens nach dem sagen­um­wo­be­nen Früh­stück mache ich mich dann auf zur Uni. Zehn Minu­ten Fuß­weg und dann in die Metro. Ziem­li­ches Gedrän­ge. Pro­gramm, Han­dy und Tablet in die Tasche gesteckt, manch­mal auch die Kame­ra , den Schul­ter­rieh­men über bei­de Schul­tern gelegt, also so, dass der Rie­men auf der lin­ken (oder rech­ten) Schul­ter und dann nach rechts (oder links) über den Kopf gezo­gen wird, so dass die Tasche dann rechts (oder links) ist. Dann kann einem kei­ner die Tasche ein­fach so von der Schul­ter reißen.

Dann zehn Minu­ten zur Metro. Die Metro ist echt ein Prunk­stück. Und zwar in mehr­fa­cher Hin­sicht. Sau­ber­keit (kein Ver­gleich zu Bon­ner Stra­ßen­bahn, wo über­all Essens­res­te rum­lie­gen, Jugend­lich mit Füßen auf den Sit­zen rum­lun­gern, kaput­te Fla­schen rum­lie­gen, nee das gibts hier nicht. Und die Metro hat eine Kli­ma­an­la­ge (wo gibt’s denn sowas?), was zu den Stoß­zei­ten mor­gens und abends echt ein Segen ist. Die Medel­li­ner sind zurecht stolz auf ihre Metro und ach­ten dar­auf, dass sie erhal­ten bleibt. Auch die Bahn­stei­ge sind eine Augen­wei­de. Alles pico­bel­lo. Inter­es­san­ter­wei­se wird hier alles von der “Policía Nacio­nal” gere­gelt. Die Zug­durch­sa­gen, die Bewa­chung, dafür zu sor­gen, dass man bei der Zug­ein­fahrt nicht zu dicht an der Bahn­steig­kan­te steht, Leu­te zurück­hal­ten, wenn der Zug abfährt, Tou­ris­ten bera­ten, die nicht wis­sen, in wel­chen Schlitz man die Kar­te ste­cken muss bzw. auf wel­che Scan­flä­che die Tar­jeta gelegt wer­den muss. Die Policía macht hier ein­fach alles, außer Fahr­kar­ten­ver­kau­fen. Das machen Zivi­lis­ten in der Taquilla.

Die Kolum­bia­ner rem­peln übri­gens bein Ein- und Aus­stei­gen genau wie in Deutsch­land. Der ein­zi­ge Unter­schied ist der, dass man nach dem Anrem­peln ein Lächeln erhält, wäh­rend in Deutsch­land die Leu­te so tun, als hät­ten sie nicht gemerkt dass sie einen ange­rem­pelt haben. Na ja, das ist dann ja doch ein ziem­li­cher Unter­schied, der das Rem­peln etwas erträg­li­cher macht.

Nur etwas ist echt Mist. Die bei­den metal­li­schen Stan­gen, die sich längs­schnit­tig unter­halb des Zug­da­ches durch den gan­zen Zug zie­hen, damit sich die Fahr­gäs­te mit Steh­platz (und das sind natür­lich die meis­ten) dar­an fest­hal­ten kön­nen, sind ein­fach nicht für die Kör­per­grö­ße eines nor­ma­len Mit­tel­eu­ro­pä­ers kon­stru­iert. Ich habe mir schon zwei­mal ziem­lich hart den Kopf dar­an gestoßen.

Apro­pos Kopf sto­ßen. Im Hotel ist wie gesagt alles (außer Früh­stück) super, aber die Dusche hat so eine Glas­tür, wie wir sie auch in Bonn haben. Oben wird sie begrenzt durch eine Metall­schie­ne, die lei­der so nied­rig ist, dass ich jeden mor­gen schlaf­trun­ken dage­gen knal­le. Ich brauch wohl noch ein paar schmer­haf­te Erfah­run­gen, um das zu ler­nen. Aber dann rei­se ich ja schon wie­der ab.

Die Uni ist schön, aber auch hier habe ich eine über­ra­schen­de Erfah­rung gemacht. Das Per­so­nal in der Men­sa, in den vie­len Cafe­te­ri­as und an den vie­len Kios­ken auf dem Cam­pus ist genau so unfreund­lich wie ich es von deut­schen Uni­ver­si­tä­ten ken­ne, sei es nun Mar­burg, Bonn, Essen, Sie­gen oder Bie­le­feld. Wer erin­nert sich nicht dar­an, wie einem immer die Sachen auf den Tel­ler geknallt wur­den und man ange­mault wur­de, wenn man es wag­te, irgend­ei­nen Son­der­wunsch zu äußern?. Hier ist das nicht anders. Eigent­lich doch völ­lig unty­pisch für Kolum­bi­en oder hat das was mit Paisaland
(Antio­qia) zu tun? Kei­ne Ahnung.

Ansons­ten aber sind die Kolum­bia­ner hier so wie man es gewohnt ist. Äus­ge­spro­chen hilfs­be­reit, lie­be­voll, und natür­lich (zurecht) stolz auf ihr schö­nes Land.

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